Zwischennutzungen – eine Chance für kreative Freiräume?

bi2Podium v. l. n. r.: Martin Hofer, Peter Haerle, Olivia Bosshart-Kion, Steff Fischer, Romano Zerbini
Das Hochhaus Zur Bastei, Musterbau der 50er Jahre-Architektur und einst das erste Hochhaus Zürichs, steht an der Bärengasse beim Paradeplatz, inmitten des Zürcher Finanzdistrikts. Vor rund 8 Monaten rief Romano Zerbini zur Zwischennutzung aus, und es entstand die Photobastei – „Zurich’s biggest Photography Art Walk“. Am 20. August 2014 wurde in einer öffentlichen Podiumsrunde das Modell „Zwischennutzung“ diskutiert.
Auf dem Podium sassen Steff Fischer, CEO Fischer AG Immobilienmanagement, Peter Haerle, Leiter Kulturförderung Stadt Zürich, Martin Hofer, Verwaltungsratspräsident Wüest & Partner, Romano Zerbini, Initiator und Leiter der Photobastei. Moderiert wurde der Anlass von Olivia Bosshart-Kion.

Entstehungsgeschichte

Die Zwischennutzung kam zustande, weil die Käuferschaft das im Gebäude geplante Projekt noch nicht in Angriff nehmen konnte. Steff Fischer wurde angefragt, für kurze Zeit das Gebäude zu nutzen, wobei etwas entstehen sollte, das der Stadt etwas gibt und dem Gebäude in der Zwischenphase einen Mehrwert verleiht. Fischer kannte Zerbini, und der packte die Gelegenheit beim Schopf, an diesem aussergewöhnlichen Ort etwas Aussergewöhnliches zu initiieren. Er beschloss, den gesamten Komplex zu bespielen – und deckte damit ein riesiges Bedürfnis ab: innerhalb von 8 Monaten zeigten 400 Fotografen ihre Werke in 300 Ausstellungen. Die Flächen wurden den KünstlerInnen zu einem günstigen Mietpreis abgegeben, die Ausstellung organisierte jeder selbst. Im Erdgeschoss entstand eine hippe, trotzdem gemütliche Bar. Durchgehend konnte eine Mietauslastung von 100% verbucht werden.

Publikumsmagnet

Zerbini erwähnt – neben den erbrachten praktischen Eigenleistungen – Investitionskosten in Höhe von 120’000 Franken, die zum grössten Teil durch Fundraising generiert wurden. Stadt und Kanton schossen je 10’000 Franken zu. Wie es nun am Ende der Zwischennutzung aussieht, kommt man finanziell heraus. Der eigentliche Erfolg aber misst sich nicht in einem Frankenbetrag, sondern in den 100’000 Besuchern, die in 8 Monaten in der Photobastei waren. „Das ist ein Publikumsaufmarsch wie in der Tonhalle oder im Kongresshaus“, sagt Zerbini und sinniert gleichzeitig über den Grund für das riesige Bedürfnis an solchen Leerräumen, nur schon allein für Fotografie: „Die Räume hier sind genial, weil sie günstig sind, die Räume eigenen sich, um etwas auszuprobieren, man kann sich als Künstler zeigen mit etwas, das experimentell ist und nicht unbedingt erfolgreich sein muss. An einem definitiven Ort würde das nicht funktionieren. “

Imagegeschäft Zwischennutzung

Martin Hofer von Wüest & Partner sieht seine Firma zunehmend mit dem Thema „Zwischennutzung“ konfrontiert. Solche transitorischen oder Übergang-Nutzungen, wie er es gerne nennt, sind für Investoren wirtschaftlich eigentlich nicht interessant. Die Photobastei kam trotzdem zustande, weil „der Investor Kunstaffin ist, die Idee toll fand und letztlich doch auch rechnen kann: ein leeres Haus muss geschützt werden. Bei einer Zwischennutzung muss der Investor nichts bezahlen für die Sicherheit und hat kein Problem mit Besetzern.“ Hofer möchte trotzdem nicht von einem Geldgeschäft reden, sondern von einem Imagegeschäft. Man kann viel Ruhm und Ehre heischen mit so etwas.

Mut zur Chance

Fischer ergänzt, dass in der Stadt Zürich immer mehr Büroraum leer steht. Die Branche muss umdenken bei der gängigen Überlegung, dass sie Leerraum lieber leer stehen lässt als den Mietpreis zu senken, in der Hoffnung, irgendwann jemanden zu finden, der den Preis bezahlt. Hier sieht er eine Chance für Zwischennutzungen, denn die wird nicht als Abgabe zu vermindertem Mietpreis gewertet, sondern eben als Zwischennutzung.
Peter Haerle von der Stadt Zürich hat grosse Hochachtung vor Leuten, die den Mut haben und etwas gestalten wollen. Ein Investor muss sich auf etwas einlassen, das er vermutlich so nicht kennt, braucht die Bereitschaft zum Wagnis. Für ihn ist die Photobastei ein Leuchtturmprojekt, das nicht nur mit Fotografie, sondern auch mit anderen Kunstsparten funktioniert hätte. Auch die Stadt selbst hat Erfahrung mit Zwischennutzungen (wobei es innerhalb der Stadtverwaltung natürlich verschiedene Interessensgruppen gibt, die Finanzabteilung hat teilweise andere Vorstellungen als die Kulturabteilung):
Sowohl in der Werkerei Schwammendingen als auch in der Migros Herdern hat sie Platz gemietet für Kleingewerbe, Kultur und Ateliers, welche sie Abgängern der ZHdK zur Verfügung stellt.

Zwischennutzung in der Peripherie

Ob ein solches Projekt auch im Aussenquartier oder an einem kleinen Ort funktioniert hätte? Zerbini hätte das Wagnis an einem kleinen Ort ohne den vollen Rückhalt der betreffenden Orts- oder Stadtverwaltung nicht riskiert. Ein kleinerer Ort könnte aber ein solches Projekt durchaus mittragen, indem er es zum Beispiel ganz klar als Standortvorteil positioniert. Immobilienmanager Fischer meint, dass die Lage das Wichtigste sei, plädiert aber gleichzeitig für ein Umdenken bei der „Zentrumsfrage“. Der Metropolitanraum Zürich verändere sich stetig, es werde künftig Zentrum neben Zentrum entstehen, das jedes in einem bestimmten Kontext Bedeutung gewinne.
Letztlich stellt man sich noch die Frage, wer ein solches Projekt überhaupt aufgleist, „Bannerträger“ ist. Die Antworten der Podiumsteilnehmer: es braucht jemanden, der verrückt genug ist, ein solches Projekt wichtig und richtig zu finden, der Kunst und Kultur liebt. Es braucht eine Stadt, die den Standortvorteil, die Wertsteigerung und den entsprechenden Werbenutzen in einem solchen Projekt sieht, und es braucht Initianten, welche die besondere Dynamik in der Zwischennutzungsatmosphäre spüren.

Zwischennutzung in Schaffhausen – Die Tempogarage macht Tempo beim Thema

Das erste Beispiel einer Zwischennutzung in der Stadt Schaffhausen ist derzeit die „Tempogarage“. Eine Handvoll Künstlerinnen und Künstler hat sich die zum Abriss bestimmte Rheingarage mit einem Zwischennutzungsvertrag für drei Monate gesichert und bespielt sie mit Ausstellungen und einer Beiz, der Tempobar.

KAGAWEST ?

Könnte, was mit viel Initiative im Kleinformat höchst erfolgreich funktioniert, auch im Gebäude der ehemaligen Hallen für Neue Kunst – nennen wir es hier KAGAWEST – stattfinden? Warum nicht eine unbürokratisch abgewickelte kulturelle Zwischennutzung initiieren für Ausstellungen, Konzerte aller Art, Lesungen, Chorauftritte, Theateraufführungen, Raum für Präsentationen von Matura- oder Lehrabschlussarbeiten, Think-Tanks, Atelierraum für kurzfristige experimentelle Versuche im Bereich Bildende Kunst?
Eine solche Zwischennutzung könnte die im Besitz der Stadt befindlichen Räume KAGAWEST in der Zeit bis zu ihrer endgültigen, hoffentlich weiterhin kulturellen Bestimmung nicht nur vor längerem Leerstand mit allen, auch finanziellen, Nachteilen bewahren, sondern öffnen und beleben. Und nach der in manchen Kreisen als elitär befundenen (noba bene inhaltlich diskussionslos grossartigen), nach dreissig Jahren nun beendeten (Zwischen-?)Nutzung durch die Hallen für Neue Kunst allen Bevölkerungsteilen von Schaffhausen näherbringen. Wie das Beispiel der Photobastei Zürich zeigt, hat eine geschickt inszenierte Zwischennutzung durchaus das Potenzial, einer Stadt und einer ganzen Region ein positives, mutiges und initiatives Gesicht zu verleihen.