Platz da! Doch wo, wieviel und für wen?

Seit Jahrzehnten streitet Schaffhausen um Parkplätze. Weil das Thema hochemotional ist, verfolgt die Stadt eine Politik der kleinen Schritte. Warum wagt sie keinen grossen Wurf? Ein SCHARF-Gespräch mit den Stadträten Simon Stocker und Raphaël Rohner und dem Stadtplaner Jens Andersen.
Seit die Stadt den Abbau von einem Drittel der Parkmöglichkeiten auf dem „Platz“ angekündigt hat, wird in den Leserbriefspalten wieder heftig gestritten. Grundsätzlich geht es dabei um die Frage, welcher Mobilitätsmix der Bedeutung der Innenstadt als Ort fürs Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Ausgehen am besten gerecht wird.
Die Debatte ist wichtig. Schliesslich haben in einigen Nachbarländern die Kernzonen von Kleinstädten tatsächlich ihre Vitalität eingebüsst und verslumen zusehends. Droht dies auch Schaffhausen? Rohner winkt ab: „In der Schweiz finde die Entwicklung vorwiegend in Zentren statt. Wir brauchen keine Angst vor einer Verödung der Altstadt zu haben. Allerdings müssen wir darauf achten, dass die Stadt sich als attraktives Dienstleistungszentrum weiter entwickeln kann und nicht ins Museale abgleitet. Und dazu gehören gute Bedingungen für den Einzelhandel.“

Parkplätze oder Flaniermeilen

Das klingt zwar gut. Doch was heisst es konkret? Mehr attraktive Flaniermeilen, also weniger von Autos verstellte oberirdische Plätze? Oder das Gegenteil: Parkmöglichkeiten möglichst vor jeder Ladentür, damit Autofahrer nicht in die Einkaufszentren auf der grünen Wiese ausweichen?
Der jüngste Parkplatzkompromiss (Details dazu im Artikel „Kompromissbereitschaft am Platz“) lässt nicht klar erkennen, in welche Richtung der Stadtrat die innerstädtische Entwicklung und Mobilität lenken will. Statt einen grosszügigen autofreien Raum für neue Entwicklungen zu schaffen, bleibt es bei punktuellen Verbesserungen. Einige Sitzbänke und Pflanzentröge sind allerdings kein Befreiungsschlag. Die Parkplätze dominieren den „Platz“ nach wie vor. Auch der für Anwohner lästige und für Shopper kaum je zielführende Suchverkehr ist weiterhin möglich. Warum verfolgt man nicht eine langfristige Mobilitätsplanung, sondern begnügt sich mit einer „Pflästerlipolitik“, die niemandem viel bringt?
bi4Platz – Diagonale

Flexibler auf Trends reagieren

Obwohl dieser Vorwurf im Raum steht, stellt sich auch Stadtrat Simon Stocker hinter den Kompromiss: „Eine Gesamtplanung ist zwar wichtig“, sagt er. „Sie nimmt aber sehr viel Zeit in Anspruch. Und so läuft man Gefahr, dass am Schluss gar nichts umgesetzt wird“.
Also lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach! Das ist allerdings nicht der Hauptgrund, warum Stocker hinter der Politik der kleinen Schritte steht. Sein wichtigeres Argument: Die Vitalität der Kernstädte habe viel mit den Menschen zu tun, mit den Akteuren, die die Stadt „bespielen“. Deren Interessen folgten jedoch gesellschaftlichen Megatrends und seien einem raschen Wandel unterworfen. Ausgangsgewohnheiten, Erlebnisbedürfnisse und wirtschaftliche Rahmenbedingungen ändern sich. Dies führe zu Wellenbewegungen bei der Nutzung von Aussenräumen (Plätze, Gassen, Rheinufer) beispielsweise für Events, aber auch beim Einkaufsverhalten, wo momentan der Auswärts-Einkaufstourismus boomt.
„Die Menschen müssen umgestalteten Orten Schritt für Schritt eine neue Funktion geben. Wenn die zusätzlichen Freiräume gut angenommen werden und nicht einfach Leerräume bleiben, können wir immer noch einen Schritt weitergehen. Klar ist für mich jedenfalls: Die Aufenthaltsqualität ist entscheidend dafür, wo man einkaufen geht. Doch leider dreht sich die Diskussion einseitig nur um Auto-Abstellplätze. Wir brauchen deshalb dringend eine Versachlichung der hochemotional geführten Debatte über öffentliche Räume“.
bi3Gefüllte Freiräume?

Überschätzte Mitwirkungsprozesse

Können Mitwirkungsprozesse dazu beitragen? Rohner stellt jedenfalls ganz darauf ab, denn Stadt sei „gebaute Gemeinschaft“ (Zitat von Vittorio Lampugnani, Professor für Städtebaugeschichte an der ETH). Stadtplanung müsse in enger Abstimmung mit den betroffenen Anspruchsgruppen erfolgen. „Wir machen mit der Pro City eine Analyse zur Innenstadtentwicklung und sind dabei gut unterwegs. Ein gemeinsamer Auftritt ist mir wichtig.“
Doch Mitwirkungsprozesse, die nicht innerhalb einem engen Zeitfenster durchgeführt werden, arten zu einem ‚Wunschkonzert’ aus und können Stadtentwicklungsprojekte auch bremsen, wie die schon länger geplanten Veränderung am Rheinufer zeigen. Jens Andersen, der die Stadtplanung leitet, beobachtet: „Der Individualismus hat extrem an Bedeutung gewonnen. Ein mühsam errungener Konsens erodiert deshalb schnell wieder. Dauert ein Stadtentwicklungsprojekt länger als drei Jahre, so verliert man heute den gemeinsamen Nutzen schnell aus den Augen und die privaten Interessen nehmen überhand. Man muss daher auch den Mut haben zu sagen: Die Diskussion ist beendet, ab jetzt wird umgesetzt.“

Genügend Plätze am richtigen Ort

Bleibt die Frage: Hat Schaffhausen überhaupt genügend Parkhäuser, um Parkplätze im Freien abzubauen? Man kann diese Frage klar bejahen, seit die beiden Parkhäuser Diana und Bleiche mit Total 400 Stellplätzen eröffnet wurde. Dass viele Autofahrer nach wie vor primär nach einem oberirdischen Parkplatz suchen, wirft allerdings die Frage auf: Liegen die Parkhäuser zu weit von den wichtigsten Einkaufsmöglichkeiten entfernt? Im Einkaufszentrum Herblingen beträgt der durchschnittliche Fussweg vom Parkplatz bis zum Ladenzentrum 150-200 Meter. Die Altstadt kann da gut mithalten: Ob Herrenacker-, Bahnhof- oder „Stricki“-Parkhaus – nie ist man von Geschäften wie Manor, Coop, Migros oder Spar weiter als 150 Meter entfernt (vgl. dazu die Karten im Artikel: «die Fähigkeit, die wirklich relevanten Fragen zu stellen»). Doch viele Besucherinnen und Besucher der Munotstadt haben das noch nicht realisiert. Die oberirdischen Parkplätze sind nach wie vor vorhanden und scheinbar auch begehrt, was in den Altstadtgassen den erwähnten Suchverkehr produziert. Dies obwohl die Parkdauer auf zwei Stunden beschränkt ist und sie ebenso teuer sind wie Parkhaus-Plätze – bloss scheinen das die Wenigsten zu wissen.
Wussten Sie, dass …

  • in mittelgrossen Innenstädten knapp 20 Prozent der Kundschaft mit dem Auto unterwegs sind
  • der durchschnittliche Kunde bei einem Einkaufsbummel in einer Innenstadt rund 2 Kilometer unter die Füsse nimmt
  • ein Autofahrer zehnmal mehr Platz in Anspruch nimmt als ein Bus-Benutzer
  • Verkehrsmassnahmen für Velofahrer die beste Kosteneffizienz aufweisen
  • 100 neue öffentliche Parkplätze täglich 1000 Zusatzfahrten bewirken
  • Grössere, an ein Parkleitsystem angeschlossene Parkhaus-Anlagen den Parksuchverkehr drastisch reduzieren

(Aus der VCS-Verkehrsstudie „Massnahmenpaket Innenstadt St. Gallen – damit die Stadt nicht zum Hinterhof der Einkaufszentren wird“, 2007)
 
Link:

bi1 Der Suchverkehr im Innerstädtischen Kontext