Mit neuen Wohnformen zum Glück

WOHNFORMEN: Bericht über das SCHARF-Filmscreening «The Infinite Happiness» vom 15.3.2017
Mit neuen Wohnformen zum Glück
SCHARF holt andere Wohnformen nach Schaffhausen. Zum Auftakt der neuen Serie „Wohnformen“ zeigt das Forum im gut besuchten Kiwi den Dokumentarfilm „The infinite Happiness“. Er portraitiert Menschen rund um das 8 House, ein Gebäude im Süden von Kopenhagen, das mit seiner sozialen Architektur ein Wohnmodell der Zukunft sein könnte.
In einer rasanten Fahrt folgen wir Palle auf seinem Einrad vom 10. Stock, durch Korridore und an grünen Hügeln vorbei bis nach unten. Auf dem verschlungenen Weg bis zum Erdgeschoss muss Palle niemals absteigen, ganz so, wie von Bjarke Ingels geplant. Der Architekt vom 8 House, von den einen als Genie, von den anderen als Verrückter bezeichnet, schuf mit diesem Gebäude ein Ort, der Menschen verschiedene Arten zu leben – sich auszuleben – ermöglicht. Dazu gehört eben auch, mit dem Fahrrad vom obersten Stock nach unten zu rasen.
3
Ein soziales Experiment
„The infinite Happiness“ von Ila Bêka und Louise Lemoine setzt gewissermassen da an, wo die Arbeit des Architekten zu Ende ist. Die RegisseurInnen zeigen, wie das Gebäude ganz individuell mit Leben gefüllt wird. Sie portraitieren in diesem berührenden Film das Leben von Menschen, die im 8 House wohnen oder arbeiten. In 21 Kapiteln erhalten wir teilweise sehr intime Einblicke in den Alltag dieser Menschen, deren gemeinsamer Fixpunkt das 8 House ist. Für sie ist es nicht bloss ein Gebäude. Für die einen ist das 8 House ein italienisches Städtchen, für die anderen ein Bergdorf oder gar ein soziales Experiment. Einig sind sich die Leute darin, dass sein Aufbau ein sozialeres Miteinander fördert. Man kommt gar nicht umhin, offener zu sein und auf Leute zuzugehen, sie stehen ja direkt gegenüber auf der Terrasse. Diesen Eindruck gewinnen wir auch als ZuschauerInnen; wir sind mitten im Leben des 8 House drin, überall ist Bewegung.
0
Kollektives Glück durch Architektur?
Wir sitzen am Tisch beim Nachtessen mit einer Familie, bei der von den Grosseltern bis zu den Enkeln alle im 8 House wohnen. Wir tasten uns dem Geländer entlang mit dem blinden Christian. Verloren wirkt der Pöstler, der den richtigen Briefkasten nicht findet und uns lachend den kryptischen Plan des Gebäudes erklärt. Wir machen im Nebel Tai Chi mit Familie Zhu, folgen einer Gruppe Kinder, die das ganze Haus in ihr eigenes Schloss für die lustigste Schatzsuche verwandelt und wir stehen am Abend auf einer Dachterrasse neben Boris, der zufrieden sein Martiniglas schwenkt, seiner Frau einen Kuss gibt. Wenn er sagt, dies sei der schönste Ort der Welt zum Leben, dann glaubt man ihm das sofort und wird ein bisschen neidisch, dass man nicht selbst dort wohnen und Kinder grossziehen darf. Das kollektive Glück der Menschen in und ums 8 House ist förmlich spürbar. Es wirkt zuweilen märchenhaft und surreal, wenn die Abendsonne das Wasser im anliegenden Teich zum Glitzern bringt und sogar die Kühe auf der Wiese nebenan zu strahlen scheinen beim Gedanken daran, dass sie und ihr Fleisch Teil dieses grossen Projekts sein dürfen. Nur einmal wird die Fähigkeit des Architekten, das kollektive Glück zu erschaffen, explizit in Frage gestellt: Für einen Bewohner ist die Popularität dieses Ortes zu stressig, er erlitt einen Herzinfarkt und zieht aus. Trotz Verbotsschildern und Überwachungskameras seien Horden von TouristInnen direkt über seine Terrasse getrampelt und hätten frech seine Rosen gepflückt.
1
Platz teilen in der Kalkbreite
Das 8 House übt eine Faszination aus. Ganz wie von SCHARF intendiert, kommt man nicht umhin, sich vorzustellen, ob man an so einem Ort wohnen könnte. Ob solche Wohnformen in der Schweiz denkbar wären? In eine ähnliche Richtung geht wohl die Zürcher Kalkbreite. Dem Wohn- und Gewerbehaus liegt die Idee zugrunde, als Person weniger Platz zu beanspruchen und vor allem mehr Platz mit anderen zu teilen. Cluster mit gemeinsamen Räumen sollen den Kontakt mit anderen BewohnerInnen fördern.
Mehr Mut für Schaffhausen
Und in Schaffhausen? Die Stadt hält fest, dass ein Mangel an zeitgemässem Wohnraum herrsche. Vor Kurzem wurde das Baurecht für die Parzelle Hohberg an ein Projekt vergeben, das sich unter anderem diesem Mangel annehmen will. Im Projektbeschrieb ist von einem gassenartigen Hofraum die Rede, der die Kommunikation zwischen den BewohnerInnen fördern soll – auch wenn dieser Plan im Vergleich zum 8 House vorsichtig sozial wirkt, so gibt es laut Stadt in Schaffhausen bisher kaum vergleichbaren gemeinschaftsorientierten Wohnbau. Dabei wäre es in Schaffhausen, einem Kanton der von Überalterung betroffen ist und im Zuge neuer Projekte viel über alternative Wohnformen diskutiert wird, essentiell, gerade für junge Menschen und Familien attraktiven und mutigeren Wohnraum zu schaffen. Kann es denn sein, dass für eine Architektur, wie die des 8 House, einfach nicht alle Menschen gemacht sind? Erstaunliche viele ZuschauerInnen des Films meinen, eine solche Wohnform sei in der Schweiz weniger denkbar, da die „Dänen leichter im Umgang seien“, „es einfach lockerer nehmen als die Schweizer“. Doch genau wenn wir die soziale Macht der Architektur bedenken, ist es doch vorstellbar, dass wir nicht nur unsere Wohnformen unseren Vorstellungen angleichen, sondern auch umgekehrt uns denn sozialeren Wohnformen anpassen. Beflügelt von der Magie des 8 House wünscht man sich für das zukünftige Schaffhausen Wohnformen, die genau das zulassen.
Link zur Einladungskarte THE INFINITE HAPPINESS