Kontroverser Beton

Selbst an preisgekrönter Architektur können sich die Geister scheiden. In einer von SCHARF organisierten Lesung im Kreuzgang anlässlich der Museumsnacht 2017 stellt der Architekt Christian Scheidegger die Meinung vier verschiedener Seiten zu seinem „Haus mit zwei Stützen“ am Sarnersee vor.
Die Mauern des Kreuzgangs vom Museum zu Allerheiligen trafen bis Mitte September auf Bilder moderner und teilweise verspielter Betonbauten. SCHARF hatte die Ausstellung „Architekturpreis Beton 17“ nach Schaffhausen geholt. Der Preis wird alle vier Jahre an Projekte vergeben, welche das Potenzial von Beton in besonderer Weise aufzeigen. Nebst dem Hauptpreis und mehreren Anerkennungspreisen wird jeweils ein Förderpreis an JungarchitektInnen verliehen. Gewonnen hat ihn dieses Jahr das Atelier Scheidegger Keller aus Zürich. Im Rahmen der Museumsnacht kamen Christian Scheidegger, Jürg Keller und Martin Kugelmeier nach Schaffhausen. Um die Vielschichtigkeit ihres Projekts „Haus mit zwei Stützen“ zu unterstreichen, haben sie sich eine originelle Lesung einfallen lassen: Die Architekten zitierten vier Personen mit unterschiedlichen Bezügen zum Haus. Auf einer Leinwand zeigten sie währenddessen Fotografien oder einen Film über die Entstehung und Bewohnung des Hauses. Durch diese Vermittlungsform wurde das Wesen des speziellen Privathauses am Sarnersee spürbar.
Y-förmige Stützen und ein Zeltdach
Die Meinungen über das „Haus mit zwei Stützen“ gehen auseinander. Da wäre zum einen der Tessiner Mario Monotti, Bauingenieur des Hauses. Auf Italienisch spricht er aus Lautsprechern über die strukturellen Gegebenheiten. Man hört, dass das rundum verglaste Haus aus lediglich drei Elementen besteht: dem Sockel, zwei Y-förmigen Ortbetonstützen und dem Zeltdach in Beton. Der 100 m2 grosse Innenraum ist in drei Terrassen unterteilt, die drei unterschiedliche Blickwinkel auf den See erlauben. Wer Italienisch versteht, erfährt hier viele interessante Eckpunkte. Für alle anderen sind vor allem die starken Schwarz-Weiss-Bilder, die sich im Hintergrund abspielen, spannend. So, wie sich der Text langsam mit dem Aufbau des Hauses befasst, verfolgen auch die Bilder Schritt für Schritt die Entstehung des Gebäudes. Langsam nimmt es Gestalt an.
Ein gar „komisches Objekt“
Diese Gestalt sagt nicht allen zu; das wird im nächsten Text sofort klar. Wer bei den technischen Ausführungen zuvor den Faden etwas verloren hatte, muss jetzt laut loslachen, als Scheidegger aus dem wenig schmeichelhaften Mail eines Nachbarn des Hauses zitiert. Obwohl der Autor der Nachricht meint, er gebe lediglich wieder, was man in Obwalden halt so diskutiere, wird deutlich: Hier ärgert sich jemand ganz gewaltig. Über die Form des Hauses. Das Material. Die angebliche Unfähigkeit der Architekten, ja, eigentlich über jeden Millimeter dieses „komischen Objekts“. Scheidegger kann sich beim Vorlesen das Lachen selbst nicht verkneifen. Er nimmt die Kritik locker, versteht sie gar als Kompliment. Denn solche Reaktionen zeigen, dass die eigenen Werke die Menschen nicht kaltlassen. Man setzt sich plötzlich mit der Frage auseinander: Ist das Haus noch Haus oder eher schon Objekt?
Mit „Problemen“ neue Wege gehen
Ein feines Augenzwinkern ist auch den nächsten beiden Einschätzungen zu entnehmen. Architekt Raphael Zuber meint, diese Konstruktion mache eigentlich keinen Sinn. Er lobt aber den Mut der Architekten, sich ein solches „Problem“ zu stellen, um geistig und konstruktiv neue Wege zu gehen. Der Architekturjournalist Palle Petersen beschreibt, wie sich das Haus dezent in die Uferlandschaft einfügt, die Fassade entlang der Topographie läuft und so etwas Verbindendes schafft. Petersen wie auch der Architekt Raphael Zuber scheinen fasziniert von den Gegensätzen: Zwischen Innen- und Aussenraum herrscht ein Spannungsverhältnis. Das Gebäude wirkt von aussen einfach, innen aber entfaltet sich die ganze Kraft der beiden Stützen und des Dachs, das über der stützenfreien Fassade schwebt. Gleichzeitig ist die Aussicht aus dem beschatteten Innenraum auf den Sarnersee und die Landschaft umwerfend. Die robuste Schönheit zeigt sich im Schwarz-Weiss-Film dazu. Gefilmt während es draussen regnet, entstehen keine harten Kontraste, die feinen Verläufe des Baus werden erkennbar. Während die Aussenwelt so dichter wirkt, strahlt der Innenraum trotz seiner Monumentalität eine Leichtigkeit aus. Petersen kritisiert die fehlende Wohnlichkeit – eine Meinung, der Scheidegger selbst zwar widerspricht, einige der im Kreuzgang Anwesenden aber teilen: Man würde sich in diesem verglasten Raum exponiert fühlen. Andere wundern sich eher über die eigenwillige Einrichtung (der aktuelle Mieter scheint leidenschaftlich zu sammeln).
Alle diese Diskussionen zeigen: Mutige, innovative Architektur löst weit mehr Kontroversen aus als die fehlende Qualität durchschnittlicher Bauten. Und das ist auch gut so.
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Ausstellung Architekturpreis Beton 17 in Schaffhausen – diverse Presseberichte