Neue Alte Häuser

Im Rahmen des Europäischen Kulturerbejahrs unternahm das Schaffhauser Architektur Forum mit den jungen WorkshopteilnehmerInnen eine Stadtexpedition mit dem Fokus „Altstadthäuser aus verschiedenen Epochen“. Dem Rundgang folgte die gestalterische Umsetzung des Gesehenen und – schwupps – ward’s bunt in den Schaffhauser Häuserzeilen!

Ziel des Workshops war, den Kindern verschiedene Bauepochen und ihre Merkmale näher zu bringen, über Ursprünge und Unterschiede zu diskutieren, in einer Gestaltungsarbeit Stile zu mischen und neue, eigene zu entwickeln. Die Architekten des erweiterten SCHARF-Vorstands haben sich minutiös vorbereitet, Fotos von epochentypischen Altstadthäusern aufgenommen und den Rundgang recherchiert. Mit diesmal leider nur wenigen Kindern im Gefolge, dafür viel Sonne am Himmel, zog man los, im Uhrzeigersinn durch die Altstadt.
Erster Halt „Confiserie Rohr“ – Haus zum Grünen Fass. Der Millennium-Glaserker sticht sofort als Stilbruch am mittelalterlichen Gebäude ins Auge. Dass Erker in Schaffhausen ein häufiges Element sind, ist den Kindern hinlänglich bekannt, Ursprung und frühere Nutzung werden ins Bewusstsein geholt. Fleissig notieren und zeichnen die Kinder in ihre Skizzenbüchlein.
Zweiter Halt: Orient. Das modern anmutende Flachdach verwirrt und lässt die Kinder das Alter des Gebäudes auf „gaaaanz neu“ schätzen. Nun, die Architekten klären auf: vor rund 100 Jahren wurde das Orient im Art déco-Stil gebaut und als Kino konzipiert. Dass es hier keinen Erker, sondern echte Balkone gibt, springt den jungen, scharfen Beobachtern sofort ins Auge. Stadtbildkommission aufgepasst: allen gefällt das Rohr-Haus besser – aber vor allem wegen der markanten orangen Farbe!
Next Stop: Fronwagplatz, wo es gleich ganz viel aufs Mal zu sehen gibt: Den Fronwagturm, der Merkmale aus Barock und Renaissance vereint und „Augenbrauen über den Fenstern!“ hat, das Manor-Haus und gegenüber das Eckhaus mit Erkersicht auf drei Seiten. Es wird verglichen, abgegrenzt, gemutmasst, aufgeklärt.
In der Vorstadt bringt das Haus zum Goldenen Ochsen ein neues Element auf Tapet: opulente Malereien an den Fassaden – (auch) eine Errungenschaft der Renaissance, erfahren die Kinder. Hier fällt auf, dass alte Häuser durchaus eine moderne Nutzung haben können. Im Erdgeschoss nämlich befindet sich das Schuhhaus Dosenbach mit modernem Logo an alter Fassade – und der altehrwürdige Erker dient als Lager für Schuhschachteln. Tja, nicht umsonst gibt es das Sprichwort „hinter die Fassade blicken“…
Dass Architekten schon immer verschiedene Stile gemixt haben, weisen die Kids spätestens am Haus „Zum grossen Kefin“ aus dem Jahr 1675 nach. In dessen Fassadenmalereien nämlich erkennen zwei Jungs ganz eindeutig Fantasy-Elemente!
In der Webergasse erklärten die Architekten, dass das Haus „Zum Geldmangel“ nicht immer so hiess, sondern eigentlich „Webertörli“. Die Darstellung auf der Fassade zeigt das Haus im alten Kontext der Stadtmauer. Nur: wo ist der abgebildete Eingang geblieben? Hat dieses Haus gar keine Tür mehr? Nicht jedes Rätsel wird an Ort und Stelle gelöst – einige Mysterien bleiben Geheimnis der Altstadt. Aber vielleicht tut sich hier ein Thema für ein nächstes Jups auf!
Nächster Beobachtungsposten: Bachstrasse/Gerberplatz. Das Haus, in welchem sich heute ein Immobilienvermittler befindet, hat etwas ganz Besonderes, nämlich einen Treppengiebel. Auch dieses Element wird ausgiebig im Skizzenbuch festgehalten. Am Haus der Gerberstube erkennen die Kinder wieder die „Augenbrauen“ und stellen fest, dass es sich hier, im Vergleich zu anderen in der unmittelbaren Umgebung, wohl um eine ganz reiches Haus handeln muss. Tatsächlich waren grosse Fenster damals ein Zeichen von Wohlstand. Und heute? Eine weitere gute Frage stellt hier eines der Kinder: „Warum sind die einen Häuser ganz gut gepflegt und die anderen nicht?“ Zeigt auf ein Haus und findet es „creepy“. Ob da keine Regeln existieren zugunsten der Gesamterscheinung. So hat das Kind das zwar nicht formuliert, aber auf jeden Fall so gemeint.
Nach dem ausgiebigen Rundgang wird im Jups-Headquarter, der Kammgarn, gemalt, geklebt, gebastelt was das Zeug hält, und die bereitgestellten blassen Fassadenbilder werden zu bunten Hinguckern in der Häuserlandschaft.
 
Nachwort – oder Vorwort für die Zukunft:
Letztes Jahr hat das Schaffhauser Architektur Forum seinen Bericht über den damaligen Jups-Workshop mit folgendem Text eingeleitet: Kinder und Jugendliche wachsen in einer von Erwachsenen gestalteten Umgebung auf und werden viel zu wenig dazu aufgefordert, sich mit offenen Augen umzusehen und den gebauten Lebensraum kritisch zu hinterfragen. Dieser wird allzu oft mit Gleichgültigkeit und Passivität betrachtet und als selbstverständlich und nicht verhandelbar hingenommen. Dem Thema Baukultur als gesellschaftsprägendem Faktor wird im Alltag – und in der Kulturvermittlung – noch zu wenig Beachtung geschenkt…
Dass dieses Jahr nur gerade 3 Kinder den SCHARF-Workshop besucht haben, kann vielerlei plausible Gründe haben: das Schöne Wetter, ein zu hoch angesetztes Mindestalter, zu viele andere tolle Angebote, eine zu trocken formulierte Ausschreibung (SCHARF ist auch selbstkritisch)… In der Regel ist es so, dass die Eltern v.a. jüngere Kinder in der Auswahl der Workshops „beraten“. Wie erreichen wir, dass Architekturvermittlung als so wichtig und selbstverständlich (um nicht zu sagen: sexy) angesehen wird, dass man hingeht? Es gibt da eine Lücke in der Vermittlung der Vermittlung. SCHARF wird sich darüber Gedanken machen!
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