Von der Vision über den Pragmatismus ­zur Vorlage: Was bleibt übrig?

These
Grosse städtebauliche Veränderungen werden dann als erfolgreich bezeichnet, wenn die ursprünglichen Problemstellungen durch den Planungsprozess im Resultat gelöst werden und für die Nutzer und den örtlichen Kontext klar erkennbare Verbesserungen des bisherigen Zustands bringen.
Diese Zielanerkennung ist der ‚Treibstoff’ schlechthin, begleitet jeden grösseren Veränderungsprozess und sollte stets kontrolliert und als Leitplanke zur Orientierung – was soll eigentlich verändert werden? – beachtet werden.
Grosse städtebauliche Veränderungen sind aber auch immer ein Austarieren von Vision und Pragmatismus. Die oft sehr schwierigen Entscheidungen müssen einerseits dem Kernziel, wirklich etwas verbessern zu wollen, dienen und gleichzeitig unter dem Aspekt des Machbaren und der zu Verfügung stehenden Mittel, getroffen werden. Die Hauptschwierigkeit solcher Prozesse ist, dass die Entscheidungsfindungen zusätzlich durch die aktuelle politische Argumentation beeinflusst werden. Inhaltlich formulierte Kernziele haben es schwer, wenn parteipolitische Machtspiele Überhand nehmen und dadurch die ursprüngliche Absicht, eine Aufwertung zu ermöglichen, behindert, gebremst oder gar verhindert wird.

bild1 Vision und Pragmatismus am Schaffhauser Rheinufer

Die Vision 2004, das Schaffhauser Rheinufer neugestaltet aufzuwerten.
Im Herbst 2004 lancierte eine Gruppe Interessierter die Initiative zur Rheinufergestaltung, die im Jahr 2005 in eine Motion umgewandelt wurde. Der damals allgemein gehaltene erste Artikel liest sich auch aus dem heutigen Fokus selbstverständlich und durchaus vorstellbar.
Artikel 1
Das gesamte Rheinufer der Stadt Schaffhausen ist städtebaulich zu attraktivieren und aufzuwerten. Möglichkeiten der Öffnung und Anbindung der Stadt an den Rhein sind aufzuzeigen.
Weil ja bekanntlich Visionen selten 1:1 umgesetzt werden können, fragt man sich nun nach dem 12-jährigen Prozess, was denn vom Kernziel der ursprünglichen Absicht noch übrig geblieben ist? Die aktuellste Abstimmungsbroschüre zur städtischen Volksabstimmung informiert uns Stimmbürger zur Vorlage ‚Rheinufergestaltung’.
 
bild2Gesamtkontext Schaffhauser Rheinufer, Elemente einer Aufwertung: Zugänge, Ankunftsorte, Übergänge, Verweilorte, Steg
 
Weil der Autor selbst und das Schaffhauser Architektur Forum SCHARF diesen Prozess von Beginn weg begleitet haben (-> siehe unsere diversen Beiträge zum Rheinufer), erlauben wir uns heute die entscheidende Frage, was denn nun in der Vorlage im Vergleich zum bisherigen Zustand als ‚Aufwertung’ bezeichnet werden kann. Obwohl SCHARF in den vergangenen Jahren verschiedene Projektabsichten kritisch fokussiert hat, fragen wir heute explizit nur nach den der Vorlage zu Grunde liegenden, öffentlich bekannten Projektteilen, welche von den beauftragten Fachleuten unter der Leitung des Hochbauamts der Stadt Schaffhausen, nach strengen pragmatischen Kriterien und unter dem Aspekt einer möglichen Umsetzung, vorgeschlagen worden sind.
Im Herbst 2015 initiierte SCHARF die Ausstellung ‚Rheinquartier: Vision/Pragmatismus’. Sie veranschaulichte in Zusammenarbeit mit dem Hochbauamt der Stadt Schaffhausen auch die Pläne und Modelle des aktuellen Projekts und der durch Fachplaner vorgeschlagenen Teilprojekte für eine umsetzbare und auch finanziell mögliche Aufwertung des Schaffhauser Rheinufers.
Diese Auslegung der Fakten einer visionären Idee zur pragmatischen Umsetzung vermittelte einer interessierten Bevölkerung die im Planungsprozess oft versteckten fachlichen Details einer machbaren Ausgestaltung der im Kernziel immer noch vorhandenen sechs Massnahmen. Diesen übergeordnet steht die Überzeugung, dass nur eine Koexistenz von Strasse und Flanierbereich funktionieren kann.
Es sind dies:

  1. Einige, im Bestand aufgewertete Zugangänge aus der Altstadt hin zum südlichen Stadtrand und den entsprechenden Ankunftsorten stadt-seitig an der Rheinuferstrasse.
  2. Ein bis zwei qualitätsvoll begründete Aufenthalts- und Verweilorte an der Wasserkante Rhein-seitig und ennet der Rheinuferstrasse.
  3. Dazwischen die dazu notwendigen optimal ausgestalteten zusätzlichen Strassenquerungen der Rheinuferstrasse.
  4. Die Aufwertung und Neugestaltung der heute schon vorhandenen Wasserkante (dank der einzigartigen Chance der notwendigen Kragplattensanierung) als Verbindung zwischen den Aufenthalts- und Verweilorten.
  5. Die Korrektur der erkannten damaligen bautechnischen und funktionalen Fehlern im Bereich der Kragplatte zur Rhybadi (minimale Freistellung der Rhybadi durch eine Loslösung der angebauten Kragplatte).
  6. Optional eine zukünftige Verbindung (Steg) zur Erschliessung des gegenseitigen grünen Ufers und kleinerer Uferwege um den Rhein oberhalb des Kraftwerks.

 
bild3Vergleich beim Rheinschulhaus 1969 / 2016. (Bilder: Stadtarchiv Schaffhausen / Wink Witholt Zürich)

Zur Vorlage
Die Vorlage verweist auf eine deutlich verbreiterte und neu beleuchtete Flanierzone entlang dem Rhein. Diese Neuorganisation, welche durch die Präzisierung der Strassensanierung möglich ist, bedeutet für Flaneure einen Mehrwert. Ausser eines zusätzlichen, ‚nichtvortrittsberechtigten’ Strassenübergangs sind alle anderen vorgeschlagenen Einrichtungen an sich nicht neu und heute schon vorhanden. Insbesondere: Geländer, Bodenbelag, Sitzgelegenheiten, Abfallbehälter, Grünstreifen mit Bäumen, Büschen und Hecken, zwei Strassenübergänge mit Fussgängerstreifen und Ampeln.
„Wo sind sie geblieben… die wirklich neuen Aufwertungen, die im Projekt vor einem Jahr in der Ausstellung noch vorhanden waren?“

bild4Die Flusslandschaft am südlichen Stadtrand

Fragen

  1. Warum wird in der Bearbeitung der Vorlage für eine Optimierung und Aufwertung eines der städtebaulich wichtigsten Gebiete Schaffhausens wenig ermöglicht aber sehr viel Mögliches verhindert?
  2. Warum wird der Meinungsbildungsprozess in einem Abschlussbericht über das ‚sinnvoll Nützliche’, der als Konzentrat in einen pragmatischen Planungsprozess übernommen wurde, so auffällig reduziert?
  3. Warum kürzen die vorberatende Kommission und das Parlament in der Behandlung der Vorlage die letzten noch vorhandenen Elemente, die im Vergleich zum Status Quo noch als Aufwertung bezeichnet werden können?
  4. Warum werden die 5 Grundpfeiler zur Erschliessung des Rheinufers (-> siehe oben) vom Parlament nochmals existentiell hinterfragt, nachdem diverse Fachgremien diese in aufwändigen Analysen, Simulationen und teuren Planungsverfahren einwandfrei als umsetzbar und in einem Projektbudget als finanzierbar aufführen?
  5. Warum wird eine 50-jährige, sanierungsbedürftige Kragplatte wie ein Denkmal rekonstruiert und saniert, obwohl jetzt die Chance für eine zeitgemässe Neuausformulierung der künstlichen Uferkante gegeben wäre?
  6. Was geschieht im Fall einer Ablehnung mit dem Status Quo: wo hört die notwendige Sanierung der Strasse und Kragplatte auf, was gehört noch dazu, was nicht mehr?

 
Fazit:
Was vor 12 Jahren visionär vorgeschlagen wurde, wird mit dieser Vorlage als ‚Waterfront Schaffhausens’ weder visionär, noch pragmatisch – sondern bleibt sowohl im Gesamtkontext als auch in den Einzelteilen ganz einfach ein sanierter Status Quo.
Wir hoffen nun auf die im Moment richtige Entscheidung, diesen wichtigen Ort der Stadt zukünftig wirklich aufzuwerten.
Christian Wäckerlin, Präsident SCHARF
Bericht Schaffhauser AZ vom 16.9.2016: Zurück an den Absender
Bericht SN vom 16.9.2016: Für ein erfreulicheres Flanieren am Fluss