Referat von S AM-Direktor Andreas Ruby in Schaffhausen

DAS S AM AUF NEUEN WEGEN
1. März 2017 auf der Haberhaus Bühne in Schaffhausen: Referat von Andreas Ruby, Direktor S AM – Schweizerisches Architekturmuseum Basel
Seit dem 1. Mai 2016 leitet Andreas Ruby das S AM (Schweizerisches Architekturmuseum) Basel. Er ist in der ganzen Schweiz unterwegs, um sich dem architekturinteressierten Publikum vorzustellen und sich mit den verschiedensten Akteuren zu vernetzen. Dabei ist ihm wichtig, nicht nur „eingeweihte“ Fachpersonen zu erreichen, sondern Architektur spielerisch und durchaus auch humorvoll einem Laienpublikum zugänglich zu machen.
Seine Abschlussarbeit über Rodin führte Andreas Ruby nach Paris. Dort stolperte er buchstäblich über Architektur und merkte schmerzhaft mit einer Beule am Kopf, dass „Architektur überall ist“. E lernte Architekten kennen und merkte, dass ihm die Beschäftigung mit dem Thema Spass machte. Er fing an, darüber zu schreiben, entschied sich aber gegen ein Architekturstudium, weil er es wichtiger fand, eine Sprache zu finden, mit der er auch ein Laienpublikum erreichen und für Architektur begeistern konnte.
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Wie Architektur die Wahrnehmung unserer Umgebung verändern kann, zeigte Ruby anhand von Ausschnitten aus Filmen von Louis Buñuel und Jacques Tati, die in vielen ihrer Filme auf humoristische Weise Nutzung und Funktion von Architekturelementen ins Zentrum der Handlung stellten und damit durchaus auch Architektur-Kritik betrieben. Oder mittels eines Ausschnitts aus Hitchcocks „Rear Window“, einem Film, dessen Spannung sich vor allem mit der über den Hof beobachteten Handlung im Haus gegenüber entwickelt.
In seinem engagierten und lebhaften Referat erläuterte Ruby in verschiedenen Beispielen, dass der Nutzer von Architektur – also wir alle täglich und überall – der wichtigste Akteur für das Erkennen von Qualität ist. Oft verstehen die Architekten Entwurf, Konzeption, Planung und Umsetzung eines Hauses als abgeschlossenen Prozess. Dabei beginnt die interessanteste Zeitspanne nach der Fertigstellung des Hauses, wenn die Nutzer einziehen: „Der Architektur-Prozess ist die Schwangerschaft, die Fertigstellung ist die Geburt, und das Leben beginnt nach dem Einzug.“
Neues Leben wurde dem vom Abriss bedrohten Wohnhochhaus „Tour Bois le Prêtre“ ausserhalb von Paris gegeben. Statt es abzureissen, sanierten die Architekten Druot, Lacaton & Vassal das Gebäude und ergänzten dessen äussere Struktur mit verglasten Wintergärten. Die einzelnen Wohnungen erhielten bis zu 40% mehr Wohnfläche – bei gleich bleibenden Mietzinsen und ohne, dass die Bewohner ausziehen mussten. Dieses Konzept könnte für Architekten, Stadtplaner, Denkmalschützer, Entwickler und Politiker Modellcharakter haben.
http://www.detail.de/artikel/druot-lacaton-vassal-transformation-eines-60er-jahre-wohnhochhauses-9570/
Ruby, der Architektur am liebsten lustvoll vermittelt, übernahm 2013 für eine Ausstellung am Deutschen Architektur Zentrum Berlin über den „Tour Bois le Prêtre“ Innenansichten des Gebäudes in Form von Fototapeten, ergänzte diese mit echten Möbeln und Pflanzen und gab den Besuchern den Eindruck, als ob sie sich in den Räumen selbst befänden. Dieses architektonische Trompe d’Oeil machte den Besuchern so grossen Spass, dass sie stundenlang verweilten. Rubys Architekturvermittlung will möglichst direkt und massstabsgetreu den Betrachter beschäftigen und in einem Wahrnehmungs-, Denk- und Erlebnisprozess sensibilisieren.
Als Beispiel von Architektur, die einem oft vor der Nase steht, aber nicht wahrgenommen wird („Unsere Städte sind höher als nur das Erdgeschoss!“), ist die öffentlich zugängliche, aber trotzdem weitgehend unbekannte Dachterrasse des Universitätsspitals Basel des Architekten Hermann Baur aus dem Jahre 1945, die heute dem medial gefeierten Bau des Pharmazeutischen Instituts von Herzog & de Meuron aus den 90er Jahre gegenüber steht. Ruby liebt das Entdecken solcher Trouvaillen – und die Aussicht von der Terrasse.
Eine wunderbar gelungene Zusammenarbeit zwischen Architekten, Denkmalpflege und Behörden findet Ruby die Einfügung moderner Arkaden in den bestehenden alten Stadtraum am Marktplatz von Leipzig. Solchen Mut zur Transformation von altehrwürdigen Situationen in die aktuelle Zeit, solche Offenheit im heutigen ‚Jetzt’ statt eng verstandenem Denkmalschutz wünscht er sich vermehrt.
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Mit seiner ersten Ausstellung am S AM brachte Ruby frischen Wind in die Architekturvermittlung. „Imagine la Suisse“ sprengte den Rahmen der Museums-Innenräume mittels technisch perfekter Inszenierung (der Zürcher Architekten Mateja Vehovar und Stefan Juslin) mehr oder weniger bekannter gebauter Räume aus der Schweiz. Die Ansichten wurden an die Fenster des S AM projiziert – die museale Schwellenangst wurde aufgehoben, weil die Ausstellung den Aussenkontext des Museums bespielt und die Betrachter im Alltag bei Vorbeigehen und Vorbeifahren fesselt. http://www.sam-basel.org/de/ausstellungen/imagine-la-suisse
Die aktuelle Ausstellung „schweizweit“ spiegelt Rubys Vision für das S AM wider: schwellenlos, zeitgenössisch, kollaborativ, schweizweit. In Zusammenarbeit mit 162 Architekturbüros aus allen Landesteilen hat das S AM einen visuellen Atlas der aktuellen Schweizer Bauproduktion erstellt. Durch grossformatige Projektionen wird die Schweiz ins Museum geholt. Die Ausstellung zeigt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Themen, Inhalten und formalen Strategien, die Schweizer Architekten heute beschäftigen.
Ruby will „sein“ S AM als DAS Architekturmuseum in den Köpfen verankern und es nach aussen tragen, indem er künftig mit verschiedenen Projekten die ganze Schweiz bespielt. Er möchte das Museum ins Land hinaus bringen und den Menschen Erfahrungen ermöglichen, die über das „ich als grosser Mensch stehe vor einem kleinen Haus“ im hinlänglichen Ausstellungskonzept hinausgehen.
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Und der Bezug zu Schaffhausen? Dass Andreas Ruby sein Referat vor einer sehr kleinen Zuschauerschar hält, mag ob der Qualität des Anlasses erstaunen und befremden. Aber vielleicht ist diese Tatsache auch der Beweis für Rubys Feststellung: dass Architekturvermittlung einer viel einfacheren Sprache bedarf, die Schwellenängste abbaut und ein Interesse für eine Sache weckt, die uns alle angeht. Hier liegt auch das Anliegen von SCHARF, das eine Plattform bieten will für den Diskurs, den Austausch von Ideen und die Auseinandersetzung und Meinungsbildung.
Link zum Bericht über den SCHARF-Mitglieder-Ausflug nach Basel, 7.4.2017