Filmgenuss: Jean-Luc Godards „Le Mépris“ featuring Architektur

Zu einem weiteren Kinoabend lud SCHARF anfangs September ins Cinema Schwanen. „Le Mépris“, ein Film von Jean-Luc Godard aus dem Jahr 1963, setzt nicht nur die jugendlich-frische französische Schauspielergilde in Szene, sondern auch „das schönste Haus der Welt“, die Villa Malaparte. Godard, Bardot, Architektur – drei Gründe (wenn auch nicht zwingend in dieser Reihenfolge) für eine stattliche Anzahl Architektur- und Filmfans, an einem feinen Sommerabend nach Stein am Rhein zu pilgern.

Text: Cornelia Wolf

Bilder: Screens

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„Le Mépris“ (die Verachtung) von Jean-Luc Godard ist kein klassischer Architekturfilm, aber ein Filmklassiker mit Architektur. Les amis du cinéma français kommen ebenso auf ihre Kosten wie Architekturfans. Die Schlüsselszenen des Films spielen in einem Architekturjuwel: der Villa Malaparte auf Capri. Das Haus, spektakulär auf einen schroffen Felsen gebaut, gilt als architektonisches Meisterwerk des 20. Jahrhunderts.

Der Film
Die Handlung von „Le Mépris“ basiert auf einer 1954 veröffentlichten Novelle von Alberto Moravia (1907 – 1990): Paul Javal (Michel Piccoli in seiner ersten Hauptrolle) trifft sich in Rom mit dem amerikanischen Filmproduzenten Jeremy Prokosch (Jack Palance, bekannt aus unzähligen Westernfilmen und unvergesslich in „Out of Rosenheim“), der unzufrieden ist mit der wenig profitversprechenden Umsetzung seines Filmprojekts „Odysseus“ durch Regisseur Fritz Lang (er spielt sich selbst). Javal soll für eine hohe Summe Geld, Teile des Scripts neu verfassen, wozu er nach längerem Zögern ja sagt und damit nicht nur seine Autoren-Seele verkauft, sondern auch – wir spüren es beim ersten Zusammentreffen der beiden – seine Frau Camille (Brigitte Bardot) an den Amerikaner verliert. Prokosch umwirbt Camille, und Paul, ihr Mann, scheint eine engere Begegnung der beiden geradezu einzufädeln. Dass Paul offen mit Prokoschs Assistentin flirtet bewirkt, dass Camille dem ganzen Filmtross nach Capri folgt, wo der Film über Odysseus gedreht wird. Ein Eklat zwischen Paul und dem Produzenten führt zum Zerwürfnis zwischen Paul und Camille. Die Geschichte nimmt ihren Lauf – und endet fatal mit dem Unfalltod von Prokosch und Camille.

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Brigitte Bardot, in der ersten Filmszene nackt auf einem Bett liegend und sich einer aus heutiger Sicht fast unerträglich-naiv-verführerischen Fragerei über die Liebe ihres Mannes zu ihren verschiedenen Körperteilen hingebend, begründet hier ihren Status als Sexsymbol. Dass Godard diese und weitere Nacktszenen mit Bardot nachträglich in den Film einbauen musste, um dessen kommerzielle Erfolgschancen zu erhöhen, führt die mit seinem „Film über den Film“ beabsichtigte kritische Reflexion über Kunst und Kommerz ad absurdum.

Endlich – „Das schönste Haus der Welt“

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Erst im letzten Drittel des Films, als man endlich auf Capri ist, bekommen die Zuschauenden die mit Spannung erwartete Villa Malaparte zu sehen. Der Film ist bis heute die einzige Möglichkeit, die Innenräume und die nähere Umgebung des Hauses zu betrachten. SCHARF-Präsident Christian Wäckerlin, der selbst auf Capri war und skizzierend an das Haus heranpirschte, erzählt, dass Dutzende Motorboote, Yachten und Touristenschiffe um die Klippe cruisen, um die Neugier der Leute wenigstens ein bisschen zu befriedigen. Aktuell gehört die Villa der Fondazione Giorgio Ronchi und wird von Ralph Jentsch, dem Herausgeber einer Neuauflage von Malapertes Werk bewohnt. 1998, zum 100. Geburtstag Malapartes, wurde das baufällige Haus restauriert.
Über die Entstehung der Villa Malaparte, des „schönsten Hauses der Welt“, wie es auch genannt wird, fördern verschiedene Recherchen das Folgende zutage: Der deutsch-italienische Schriftsteller Curzio Malaparte (1898 – 1957) ließ die zweigeschossige Villa zwischen 1938 und 1942 erbauen. Malaparte wollte eine „casa come me“ bauen – „ein Haus wie ich“: „triste, dura, severa“ – traurig, hart und streng. Er kaufte das Land, obwohl dort nicht gebaut werden durfte und erhielt über Beziehungen zu Mussolini trotzdem eine Baugenehmigung. Einer Anekdote zufolge soll Feldmarschall Erwin Rommel im Frühsommer 1942 zu Besuch gewesen sein und den Hausherrn gefragt haben, ob der das Haus schon so, wie es sei, gekauft hätte, oder ob er es selbst entworfen und gebaut hätte. Darauf soll dieser – wahrheitswidrig – erwidert haben, dass er es schon so, wie es sei, gekauft hätte; und mit einer Armbewegung die Umgebung zeigend, die romantische Schönheit Capris und den malerischen Golf von Salerno: „Ich habe die Landschaft entworfen.“
Das 10 Meter breite und etwa 50 Meter lange zweigeschossige Gebäude mit Flachdach steht auf einem schwer zugänglichen Felsen 32 Meter über dem Meer und fällt schon aus der Ferne durch seinen roten Anstrich ins Auge. Der Lichteinfall, die Sichtachsen und Fluchtlinien gelten als ebenso spektakulär wie der Zugang auf die geländerlose Dachterrasse. Den Mittelpunkt der Villa Malaparte bildet ein Salon mit einer Fläche von hundert Quadratmetern. Die Fenster sind über die Fassade so verteilt, dass sie die schönsten Ausblicke erlauben. Im Haus gibt es außerdem eine Bibliothek und diverse Schlafzimmer. Südwestlich vor dem Haus befindet sich eine Bodenterrasse, von der aus etwa 100 Stufen hinunter zum Meer führen. Ein kleiner Treppenabsatz verbindet sie mit dem höher gelegenen Eingang im Erdgeschoss.
In einer der letzten Szenen des Films geht Camille, alias Brigitte Bardot, von dieser Bodenterrasse hinunter zum Meer. Man hört sie – splash! – ins Wasser springen und spannungsgeladene Sekunden später sieht man sie bedeutungsvoll ins blaue Meer hinausschwimmen. An dieser Stelle ziehen die Pfiffigen unter den Zuschauenden die Parallele zum eingangs gezeigten Werbetrailer der Laufen AG, in dem sich eine andere Badende in gestylter Wanne räkelt. Allerdings von duftendem Badeschaum bedeckt.

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Haus und Interieur als Stilmittel
Der Salon wird auch im Film zum Zentrum des Geschehens. Die Möblierung, die für den Film gewählt wurde, wirkt in ihrer vorherrschenden Farbgebung in Rot, Blau, Gelb und Weiss wie ein Bild von Mondrian. Die Farben sind aber keinesfalls zufällig gewählt, sondern werden bewusst inszeniert. Sie dienen als Stimmungsbarometer und unterstreichen die Dramatik der Handlung. So symbolisiert ein rotes Sofa (noch) vorhandene Liebe. Kaltes Blau und Gelb bedeuten Eifersucht, Streit, Trennung. Godard perfektioniert diesen Kunstgriff in der Szene auf der Terrasse beim geschwungenen Sichtschutz aus Beton, wo Camille den roten Bademantel abstreift und sich auf das gelbe Badetuch legt – und ihrem Mann klar wird, dass es zu Ende ist. Selbst die Tatsache, dass die Villa 1963 beim Dreh des Films einen etwas heruntergekommenen Eindruck macht, darf durchaus als Stilmittel gedeutet werden. Die bröckelnde Fassade, der abblätternde Putz spiegeln das in sich zusammenfallende Beziehungsgeflecht der Protagonisten.
Das Atmosphärische, der Zauber, der durch diese stilistischen Finessen entsteht, beeinflusst subtil die Wirkung des Films und die Wahrnehmung der Zuschauenden.

Wahrnehmung heute
Wie wirkt „Le Mépris“ heute, 55 Jahre nach seiner Entstehung? Er ist natürlich von Jean-Luc Godard, und deshalb äussert die SCHARF-Gruppe nur vorsichtige Kritik. Abgesehen von der einmaligen Gelegenheit, die Villa Malaparte aus nächster Nähe zu sehen, was für die Meisten in unserer architekturaffinen Gruppe natürlich die Hauptsache war, wird der Film – nicht nur, aber auch von der Schreibenden – als eher langatmig empfunden. Die endlosen Dialoge um immer dasselbe und die oft unnatürliche Spielweise der Darstellenden wirken hölzern und erschöpfend. Natürlich ist 1963 nicht 2019. Filmkunst und -technik haben sich entwickelt, das heutige Kino zeigt ganz einfach andere Filme. Was aber nicht heisst, dass sich die Themen nicht wiederholen. Brandaktuelles Beispiel eines neuen „Films über den Film“: „Once upon a time in Hollywood“, in dem Regisseur Quentin Tarantino auch die Profit- und Karrieresucht im Filmgeschäft beleuchtet und gleichzeitig die ganze (Film-)Geschichte auf den Kopf stellt. Gar nicht langatmig – am Ende ist man geradezu atemlos, à bout de souffle. Womit wir wieder bei Godard wären. Interessantes Detail: Tarantinos Produktionsfirma heisst „A Band Apart“. Der Name basiert auf Godards Film „Bande à part“.