Interview mit Hans Peter Oechsli über die städtebauliche Entwicklung der Stadt Schaffhausen

Hans Peter Oechsli, Schaffhauser Architekt und Stadtplaner, hat sich über Jahrzehnte für die Stadt Schaffhausen engagiert und insbesondere in städtebaulichen Fragen Lösungswege vorgeschlagen. Nach seinem Studium in Düsseldorf machte sich Oechsli 1971 selbständig und engagiert sich für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Ihm ging es vor allem darum, ein Bewusstsein für städtebauliche Probleme zu schaffen. Er vertrat die Ansicht, dass für ein regionales Zentrum alle nötige Einrichtungen wie, Bahn, Bus, Parkplätze und Post an einem zentralen Standort liegen müssen. Der Wohnbau sollte entlang der Verkehrsachse des Entwicklungsgebietes Thayngen, Herblingen, Schaffhausen, Neuhausen am Rheinfall und Beringen konzentrieren. Nach wie vor ist der Architekt der Meinung, dass Städtebau nicht dem Zufall und auch nicht den Investoren überlassen werden darf. Dokumentiert sind seine Überlegungen und Ansichten, beispielsweise in der breit angelegte Serie «Die Stadt in der wir leben», die in den 70er Jahren in den «Schaffhauser Nachrichten» publiziert wurde. Weitere grosse Interviews über den Städtebau erschienen in der gleichen Zeitung in den Jahren 2005 bis 2008. Die Publikationen zeigen: Die Probleme sowie die Fragen sind heute noch dieselben.
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SCHARF sprach mit dem engagierten Architekten über die städtebauliche Entwicklung der Stadt Schaffhausen. Das Interview führten Christian Wäckerlin und Claudia Härdi
scharf: Wie beurteilen Sie heute die städtebauliche Entwicklung in Schaffhausen im Hinblick auf eine Weiterentwicklung im Fulachtal?
Hans Peter Oechsli: Im Hinblick auf eine Weiterentwicklung im Fulachtal ist das Gebiet direkt beim Stadtzentrum das interessanteste. Der Übergang ist jedoch nun durch die Platzierung des regionalen Bushofes für Generationen verbaut. Er blockiert die urbane Entwicklung in diesem Gebiet. Zudem hat der Bushof an diesem Standort keine Erweiterungskapazität. Auf dem Bleicheareal wiederum, ist eine rein kommerzielle Investorenlösung entstanden. Eine Lösung, die weder einen Stadtplatz noch eine plausible Verbindung zum Altstadtkern schafft. Auch das ist jetzt zementiert. Zusammengefasst: Es sind weder städtebauliche Probleme gelöst worden, noch ist eine neue lebenswerte Stadt entstanden. Der Grund: Die Detailumsetzung ist falsch. Damit sind wir bei einem wesentlichen Punkt angelangt: Bei einer Arealentwicklung müssen nicht die Investoren mit Visionen vorangehen, sondern die Politiker, Städteplaner und Architekten.
scharf: Stichwort Investoren: Haben in Schaffhausen die Wirtschaftsförderung und die Politik das Sagen?
Oechsli: Es sieht ganz danach aus. Dementsprechend ist das Resultat. Das verdient die Stadt auch. Wenn man auf die Wirtschaftsförderung setzt, dann muss man akzeptieren, dass es allenfalls nicht ganz so verläuft, wie es für die Allgemeinheit gut wäre. Man spürt in Schaffhausen zudem einfach keinen Willen, die Stadt zu gestalten.
scharf: Kurzfristiges wirtschaftliches Denken und opportunistisches Verhalten habe Vorrang, sagten sie vor zehn Jahren. Sind sie noch stets dieser Meinung?
Oechsli: Ja, und zwar sehr dezidiert. Der kurzfristige Erfolg – der Wahlerfolg – spielt eine wichtige Rolle. Eine Entwicklung eines Stadtteils braucht jedoch einfach länger. Bei grösseren Entwicklungen ist ganz klar die Politik führend. Dazu gehört auch die personelle Besetzung der Chefpositionen. Da hätte man selbstverständlich verschiedene Geister zur Auswahl.
scharf: Welche Geister wären für eine nachhaltige Stadtentwicklung nötig?
Oechsli: Kreative und unabhängige Persönlichkeiten. Personen, denen bewusst ist, dass Bauen nicht nur eine kommerzielle Angelegenheit ist. Personen, die wissen, dass mittel- und langfristig sinnliche und kulturelle Komponenten ausschlaggebend sind. Persönlichkeiten, die den Gewinn für die Bewohner der Stadt in den Vordergrund stellen. Das muss die Leitlinie sein.
scharf: Oft hapert es jedoch am Geld. Einverstanden?
Oechsli: Nein, einschränken muss das nicht. Wenn, dann ist das womöglich nur Geistlosigkeit.
scharf: Woran scheitern städtebauliche Projekte?
Oechsli: Letztlich hängt es von einzelnen Köpfen ab. Am Politiker oder auch am Planer, der den falscher Weg beschritten hat, um hier ein Beispiel zu nennen. Oder auch an ungeschickt jurierten Wettbewerben. Eine Rolle spielen jedoch auch Eigeninteressen. Solange es Menschen gibt, gibt es einfach Fehler.
scharf: Derzeit wird viel von der Mitwirkung der Bevölkerung geredet. Was halten Sie davon?
Oechsli: Eines ist klar: Gegen die Bevölkerung kann kein neuer Stadtteil realisiert werden. Schon gar nicht im Fulachtal. Das ist eine sehr komplexe Aufgabe. Abgesehen davon halte ich sehr viel von der Sensibilisierung der Bevölkerung für städtebauliche Fragen. Ich mache mir aber keine Illusionen. Das ist uns vor 40 Jahren auch nicht im grossen Stil gelungen.
scharf: Weitsicht oder die Konzentration auf einzelne Areale. Was ist besser?
Oechsli: Um es vorweg zu nehmen: Damit man eines Tages einen Stein auf den anderen setzen kann, muss man einen Perimeter festlegen, um die Problematik einzugrenzen. Das macht jedoch erst Sinn, wenn die ersten Prozesse beendet sind. Das heisst, wen man eine gewisse Übereinstimmung der verschiedenen Interessen – zum Beispiel der Grundeigentümer – erreicht hat. Ebenfalls wichtig ist, dass die Bevölkerung hinter der Entwicklung steht. In der Praxis arbeitet man letztlich mit Planungsperimetern. Es ist jedoch fatal, wenn das Gesamte aus dem Blickfeld rückt. Dazu gehört nicht nur die Stadt, sondern die ganze Region. Es ist eminent wichtig, dass stets über den Perimeter hinaus gedacht und geplant wird.
scharf: Um eine langfristige Planung durchzusetzen brauche es Visionen, sagten Sie in einem Interview. Wie sieht ihre Vision für das Fulachtal aus und was braucht es, um dazu einen Prozess in Gang zu setzen?
Oechsli: Ohne Vision ist alles vergeblich. Da läuft man immer ins Leere. Es wäre gut, wir würden uns mehr damit auseinandersetzen. Ebenso mit der Machbarkeit der Dinge. Nicht alles was vernünftig wäre, ist machbar. Die Vision für das Fulachtal ist klar: Wir haben eine unwirtliches Gebiet in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrum. Das bereits muss reichen, um einen Prozess in Gang zu setzen. Doch wenn wir bereits zu Beginn ein Bild vom Resultat evozieren, zäumen wir das Pferd beim Schwanz auf. Das Bild kommt mit dem Prozess. Und das geht jahrelang. Wie bereits erwähnt: Es gehört der Wille dazu, die Stadt gestalten zu wollen. Ebenfalls notwendig sind zudem eine Öffentlichkeitsarbeit, sowie ein runder Tisch mit den Grundbesitzern. Der Investor ist ganz am Schluss gefragt. Danach beginnt man vielleicht mit einem Ideenwettbewerb oder einem Studienauftrag. Oder man fragt eine Uni oder Hochschule an, ob sie sich damit befassen würden. So geht man Schritt um Schritt auf ein Bild zu. Es ist fatal, sich zu Beginn eines Prozesses auf ein Bild zu versteifen. Einen städtebaulichen Prozess kann man mit einem Bild strangulieren.
scharf: Zum Schluss: Wo sehen sie positive Entwicklungen?
Oechsli: Die geplante Überbauung im Mühlental ist eine sehr positive Entwicklung. Nur stellt sich jetzt die Frage, ob später nicht alles Leben im Mühlental stattfindet. Damit würde das neue Bleicheareal ein Zwischengebiet, ohne eigene Identität, bleiben.