Bericht zum Filmpodium «Der automobile Mensch»

An einem Samstagmorgen trafen sich um die hundert Interessierte im Kino Kiwi Scala in Schaffhausen. Erwartet hat sie ein kritischer Film über die Ausmasse unserer heutigen Mobilität als auch eine anschliessende Diskussion über die Zukunft der Mobilität und die Herausforderungen bei der Umsetzung nachhaltiger Verkehrskonzepte.

Text: Alex Zahler
Bilder: Pierre Néma

Reinhard Seiß Bilder sind ein eindringlicher Aufruf zu einer fundamentalen Verkehrswende als Schlüssel für effektiven Klimaschutz und Ressourcenschonung. Das Bauen und die Mobilität werden als Hauptverursacher des Klimawandels und der Ressourcenausbeutung gesehen. Der Film stellt dar, wie die Siedlungsentwicklung sowohl Ursache als auch Folge des Verkehrs sind. Es wird aufgezeigt, dass eine Reduzierung des Autoverkehrs in städtischen, suburbanen und ländlichen Gebieten nicht nur möglich, sondern auch vorteilhaft ist. Es werden Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum gezeigt, wo das Leben mit deutlich weniger Autos genau so gut, wenn nicht sogar besser funktioniert.

Seiß kritisiert die politische Zurückhaltung gegenüber grundlegenden Veränderungen im Verkehrssektor und die starken wirtschaftlichen Interessen, die an bestehenden Strukturen festhalten. Er beleuchtet die Motive und Interessen hinter dem «System Auto», einschliesslich politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger sowie rechtlicher und finanzieller Rahmenbedingungen. 

Eine Veränderung in der Mobilität wäre seiner Meinung nach mit überschaubarem Aufwand und ohne unzumutbare Einschränkungen der persönlichen Freiheit des Bürgers möglich. Der Wille zum Handeln müsse jedoch von jedem Bürger und jeder Bürgerin selbst kommen. Der durchaus auch humoristische Film regt zum Nachdenken über unser eigenes Verhalten an. So einige werden wohl nach diesem Film ihr Auto bewusst einmal mehr stehen lassen als sonst üblich.

Am anschliessenden Podium nahmen teil:
– Denise Belloli, Geschäftsleiterin Metron Verkehrsplanung AG
– Simon Stocker, ehemaliger Stadtrat und heutiger Ständerat des Kantons Schaffhausen
– Jens Andersen, ehemaliger Leiter Stadtplanung Schaffhausen und heutiger Stadtbaumeister und Leiter Amt für Städtebau in Winterthur  
– Reinhard Seiß, Stadtplaner und Berater in seiner Agentur URBAN+, Kommunikation in Stadt- und Raumplanung, Filmregisseur des gezeigten Filmes „Der automobile Mensch“
– Moderation: Christian Wäckerlin, Präsident SCHARF 

↑ Simon Stocker, Jens Andersen, Christian Wäckerlin, Denise Belloli und Reinhard Seiß (v. l. n. r.)

Die Schweiz wurde im Film meist als positives Beispiel genannt. Dies etwa aufgrund des guten öffentlichen Verkehrs oder der Tatsache, dass im Vergleich mit anderen Ländern bereits viele Güter mit der Bahn transportiert werden. Das Publikum konnte sich zwar der Kritik des Filmes, dass das Auto unser Leben zu stark dominiert anschliessen, sah die politische Umsetzung der gezeigten Utopie jedoch eher kritisch. Grund für diese Kritik ist unsere vielschichtige Gesellschaft und auch Wirtschaft. Filmregisseur Reinhard Seiß betonte, dass ein komplexes Thema wie die Mobilität nicht vereinfacht dargestellt werden dürfe. Er wies auf die Vielzahl von Nebenschauplätzen hin und plädierte für eine nicht-lineare Sichtweise. In Deutschland sei die Autolobby besonders stark und gelte als Motor der Wirtschaft, in Österreich wird diese Rolle der Bauwirtschaft zugeschrieben.

Vom Film noch direkt betroffen, stellte sich dem Publikum die Frage, wie wir denn die Verkehrswende schaffen könnten? Denis Belolli gibt daraufhin zu bedenken, dass die Verfügbarkeit eines Autos dessen Nutzung natürlich fördere. Steht ein Auto vor der Haustür, wird es auch genutzt. Würden wir eine Verkehrswende wollen, müsste klar mehr getan werden als bis anhin. Auch Jens Andersen sieht den Handlungsbedarf in erster Linie bei sich selbst. Es sei zwar eine wiederkehrende Erkenntnis, dass die Mobilität sich auf dem Irrweg befinde, oft falle aber auch er wieder in bestehende Verhaltensmuster zurück. Deshalb habe er sich nach dem Film sowohl betroffen als auch schuldig gefühlt. Damit sich etwas an der heutigen autodominanten Situation ändern kann, plädierte Simon Stocker für die Notwendigkeit von Mut in exekutiver Verantwortung. Nichtstun und Mutlosigkeit hätte in der Politik eigentlich nichts verloren, meinte er. Dass wir unser Bewusstsein ändern müssen, forderte auch Reinhard Seiß. Die heutige Gesellschaft sei sehr auf das Auto fokussiert, was sich in den Medien und der Werbung widerspiegelt, dies wäre nur ein Ansatz, eine Veränderung herbeizuführen.

Alle Podiumsteilnehmer haben in ihrem Berufsalltag unterschiedliche Bezugspunkte zur Mobilität. Wo liegen denn ihre persönlichen Handlungsspielräume? Denis Belolli erläuterte den unternehmenspolitischen Ansatz, keine Autobahnen zu planen und bei Aufträgen das Bestmögliche und Vertretbarste herauszuholen. Sie betonte die Wichtigkeit von Partizipation und der Berücksichtigung von Ängsten und Wünschen der Bürger. Jens Andersen hob die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit in der Stadtplanung hervor und beschrieb, wie die Stadt Winterthur erfolgreich die Unterstützung des Kantons Zürich gewinnen konnte und so mit dem ASTRA an einen runden Tisch sitzen konnte. Etwas, das die Stadt Schaffhausen und der Kanton leider nicht geschafft haben. Für Simon Stocker liegen die Möglichkeiten im Lobbying, was seiner Meinung nach nicht zu unterschätzen sei. Der Kontakt zu Verbänden und Amtsleitern sei wichtig, um seine Anliegen vermitteln zu können und im besten Fall Unterstützung zu erhalten. Für Reinhard Seiß ist eine schrittweise Bewusstseins- und Verhaltensänderung vorzuziehen statt einer radikalen Abkehr vom gewohnten Lebensstil.

Die Diskussion wandte sich auch der Frage zu, wie Anreize für ein Umdenken geschaffen werden können. Seiß argumentierte, dass die Auswirkungen des „Autokonsums“ (bauliche, klimatische, gesellschaftliche) durch diejenigen finanziell getragen werden müssen, welche sie verursachen. Das Auto müsse seiner Meinung nach zum Luxusgut werden. Denise Belolli’s Erfahrung nach wird der Verzicht auf das Auto als eine persönliche Freiheitsberaubung wahrgenommen. Das Ziel muss deshalb sein, dieses Gefühl gar nicht aufkommen zu lassen. Gute Beispiele seien für Belolli grössere Siedlungen, in welchen Autos oft kollektiv zur Verfügung stehen.

Abschliessend diskutierte das Podium die Chancen von radikalen Vorstössen im Parlament. Stocker erklärte, dass Kompromissbereitschaft und vernetzte Denkweise entscheidend seien, um mehrheitsfähige Vorschläge zu formulieren. Durch sein Amt ebenfalls nahe an der Politik ist Jens Andersen. Er betonte die Notwendigkeit langfristiger Stadtplanung und warnte vor den Gefahren politischer Instabilität für langfristige Projekte.

Wir danken den Podiumsteilnehmern für diesen vertieften Einblick in die komplexen Stränge der Mobilität. Die Herausforderungen auf politischer, planerischer und gesellschaftlicher Ebene bleiben vielfältig und herausfordernd.