Wildnis in der Stadt

Eine Wildnis kann klein sein und eine Randerscheinung. Beispielsweise in der Stadt. Selbst dann ist sie in mancher Hinsicht und für viele ein Gewinn. Das war eine der erfrischenden Erkenntnisse aus dem SCHARF ArchitekturGespräch 4 mit dem Wildnis-Kenner Jonas Frei.

Text: Manuel Pestalozzi*
Bilder: Pierre Néma

Jonas Frei (links) erzählte im Gespräch mit SCHARF-Präsident Christian Wäckerlin ausführlich von seinem leidenschaftlichen Verhältnis zu Nüssen. Er widmete ihnen schon zwei Bücher. Ein drittes ist unterwegs.

Wildnis lässt sich definieren als eine Gegend, die sich der Kontrolle des Menschen entzieht. Oder als das Gegenteil von Zivilisation. Oft ist sie eine Tier- und Pflanzenwelt, die zahlreiche Überraschungen birgt. Landschaftsarchitekt und Stadtökologe Jonas Frei schlägt Brücken zwischen der Wildnis und der Zivilisation, zwischen der Pflanzenwelt und dem allgemeinen Publikum – und natürlich auch von seinen Interessensgebieten zur Architektur. Nach dem Studium und einer Anstellung beim bekannten Büro Vogt Landschaftsarchitekten entschloss er sich zu einer selbständigen Tätigkeit als Sammler, Forscher und Gestalter. Er fokussierte auf das Weitergeben von Wissen aus seinen Fachgebieten und betreibt heute das Atelier foifacht am Münsterplatz in Schaffhausen. «Das Vermitteln ist mir wichtig», meinte er zu Beginn des Gesprächs mit Christian Wäckerlin, dem Präsidenten des Schaffhauser Architektur Forums SCHARF. Es fand am Abend des 23. Oktober in der Tap Tab Bar in Schaffhausen statt, als «SCHARF ArchitekturGespräch 4 (2025)», in einem lockeren Rahmen und vor einem aufmerksamen Publikum.

Der Titel des Gesprächs lautete «Stadtwildpflanze, Nuss, Grünes Dach». «Wir gehen mäandrieren», sagte Christian Wäckerlin und legte dar, wie viele Gemeinsamkeiten und Bezugspunkte es zwischen dem Schaffen Freis und der Architektur gibt: die geduldige Suche, die Analyse von Funden, das Erkennen von ästhetischen Qualitäten, grafische Gestaltung und nicht zuletzt das Zusammenspiel der lebendigen Natur mit gebauten Artefakten. Ein zentrales Thema des Abends waren Nüsse. Jonas Freis Leidenschaft für sie wurde geweckt durch einen Zufallsfund bei einem Streifzug durch das Arboretum in Zürich. Sie führte zu zwei sehr schön gestalteten, reichhaltig illustrierten Büchern, eines über die Wal- ein zweites über die Haselnuss. Ein drittes über die Mandel – botanisch dem Steinobst näher sei als den Nüssen – ist in Bearbeitung. Zwischen den Buchdeckeln: wissenschaftlich präzise wirkende Sammlungsbilder, die ästhetische Merkmale hervorheben. Christian Wäckerlin fühlte sich erinnert an die Pflanzenfotografien Karl Blossfeldts. Jonas Frei erläuterte die Durchdringung von Zivilisation und Wildnis anhand der Kulturgeschichte der Früchte tragenden Bäume- und Stauden, die an vielen Orten der Welt Nahrungsmittel hervorbringen und zur Ertragsoptimierung weitergezüchtet werden.

Im Buch «Stadtwildpflanzen» dokumentiert Jonas Frei den aktuellen Wandel in der Wahrnehmung der Wildnis in der Stadt. In Nischen und Ritzen wird sie heute viel mehr toleriert als in der Vergangenheit. «Die Artenvielfalt in Städten ist heute oft grösser als in Gegenden, in der intensive Landwirtschaft betrieben wird», erklärte er. Und Christian Wäckerlin erinnerte sich an einen gemeinsamen Stadtrundgang mit Frei und an dessen Begeisterung für Flächen, die Durchschnittsmenschen nur als Versäuberungsorte unserer vierbeinigen Freunde in Erinnerung sind. Das Buch will dazu anregen, näher hinzusehen und eine Wertschätzung für jene Pflanzen zu entwickeln, die quasi aus eigenem Willen den Entschluss fassen, sich im Stadtraum festzusetzen. Obwohl er sein Wissen auch über das Internet und Social Media Plattformen verbreitet, hält Jonas Frei an der Buchproduktion fest. «Ein Buch ist ein langwährender Wert», zeigte er sich überzeugt, «und es eignet sich immer als Lehrmittel.»

Ein weiteres Buch, «Urbane Dächer», hat eben den internationalen DAM Architectural Book Award erhalten. Das Werk will einerseits ausdrücklich ein Lehrmittel sein und dokumentiert Dachaufbauten von Begrünungsschichten. Es hat mit seinen Fotografien von einsamen Dachlandschaften aber auch eine poetische Note. Begrünte Dächer sind zwar künstliche Oberflächen, dank ihrer weitgehenden Unberührtheit durch Menschen können sich auf ihnen aber wahre Naturwunder ereignen, die das Potenzial von Schutzgebieten für seltene Spezies besitzen. In der Schweiz gibt es mittlerweile diverse solcher abgeschiedenen Wunderwelten. Das Buch dokumentiert sie und macht das oft Uneinsehbare einsehbar. «Der Nutzen der Natur für Menschen muss nicht immer im Vordergrund stehen», kommentierte Christian Wäckerlin die Präsenz der Wildnis im Stadtraum. Aus dem Publikum wurde abschliessend gefragt, ob die Bekämpfung von Neophyten nicht vergebene Liebesmüh sei. Jonas Frei scheint diesem Phänomen entspannt zu begegnen. Die Grenze zwischen «einheimisch» und «fremd» werde hierzulande mit einer Präsenz vor 1500 gezogen. Neophyten dokumentierten die Internationalität beim Reisen und im Handel, gab er zu bedenken. Mit dieser Realität müsse man umgehen.

* Manuel Pestalozzi, dipl. Arch. ETHZ und Journalist BR SFJ, betreibt die Einzelfirma Bau-Auslese Manuel Pestalozzi

Und wie versprochen liefern wir hier noch das Rezept zu den «Schwarzen Nüssen» nach.