Lindli – aus einer Linie wird Lebensraum

SCHARF-Veranstaltung am 13. November 2025: Die neue Öffentlichkeit am Wasser.

Text: Hans-Georg Bächtold
Bilder: Cyrill Wipf

Schaffhausen hat entschieden, am Städtischen Rheinufer Lindli soll die wachsende Bevölkerung mehr Zugang zum Wasser erhalten. Die Planung Rheinufer-Ost mit einer geänderten Verkehrsführung, mit der Umgestaltung des Uferbereichs und mit attraktiven Nutzungsangeboten am Wasser wird in den kommenden Jahren umgesetzt. Sind damit die Handlungsmöglichkeiten und der Handlungsspielraum ausgeschöpft? Ist mehr möglich? Was machen andere Wasserstädte? Das SCHARF Architektur-Gespräch im TapTab mit der ehemaligen Genfer Kantonsplanerin Ariane Widmer lieferte Antworten auf diese Fragen. Die Bilder vom Genfer Seebecken mit dem neu angelegten, grosszügigen Badestrand, der Blick in den ausgebautem Bootshafen mit attraktiver Gastronomie auf dem Wasser, dazu ein Naturschutzgebiet, weckten beim SCHARF-Präsidenten Christian Wäckerlin den Wunsch nach noch mehr Öffentlichkeit am Rhein.

Wasserstadt

Wasser und Stadt gehören seit jeher zusammen. Über die Jahrhunderte hat sich ihr räumliches und funktionales Band den stetig ändernden gesellschaftlichen Forderungen und dem Stand der Technologien angepasst. Was früher über das Wasser transportiert wurde, fährt heute auf der Strasse oder mit der Bahn. Dort wo man das Abwasser hinleitete, wird heute gebadet. Als ehemalige Designchefin der EXPO 02 hat sich die Architektin Ariane Widmer intensiv mit dem Thema Arteplage – Kunst und Strand – beschäftigt. Auch mit der Idee von temporären Eingriffen – Ausstellen und Zurückbauen. Die Stadtplanung hat zu dieser Zweierbeziehung ein neues Kapitel aufgeschlagen: Gebiete am Wasser sind begehrt. Sie bieten, was die Menschen suchen: Frische, Natur, Ruhe und Begegnungsräume. Mit eindrücklichen Bildern führte Ariane Widmer den zahlreich Anwesenden die Entwicklung der Wasserstadt Genf und den Umgang mit dem Uferstreifen – von den Pfahlbauern, den ortbestimmenden Wassertransporten, den Wöschhäusern, den ersten Badeanstalten und Uferpromenaden zur heutigen Freizeitanlage – vor Augen. Die stinkende Gewässerverschmutzung und das Badeverbot sind heute nicht mehr im Bewusstsein.

Christian Wäckerlin gelang es geschickt, die Parallelen am Schaffhauser Rheinufer einzuflechten. Gleiche Geschichte: Wassertransport, Stadtverschönerung, Industrialisierung und Energiestadt. Auch hier entstand 1869 die erste Badi im Rhein. Der Uferpark und die Promenade entlang des Rheinufers, angelegt 1897 vom Salzstadel bis zur Felsgasse, konnte 1961 bis zum alten Zoll an der Landesgrenze zu Büsingen verlängert werden. Das Kraftwerk beendete damit auch die periodischen Überschwemmungen in den Fischerhäusern.

Wakkerpreis für vorbildliche Ufergestaltung

Genf gewann 2000 für die Aufwertung des öffentlichen Raums entlang der Rhone den Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes. Namentlich das städtische Projekt «Le Fil du Rhôhne», das «auf eine behutsame und kreative Weise den Raum am Wasser wieder zum Erlebnis macht», hat dazu beigetragen. Die Rhone prägt die Stadt. Die Uferräume waren parallel zur Stadtentwicklung einer ständigen Veränderung ausgesetzt. Das unverwechselbare Aussehen erhielten sie durch die Industriebauten des 19. Jahrhunderts. Diese verloren mit der Seeregulierung ihre Funktion, sind aber heute sorgfältig renoviert. Die Gestaltung des Lebensraumes am Wasser wurde in der Folge neu überdacht, zumal es kaum Orte zum Verweilen gab und Fusswege nur sehr bruchstückhaft vorhanden waren. Der alte Bezug der Stadt zum Wasser sollte wieder erlebbar gemacht werden. Mittels hölzerner Stege und Plattformen sowie Abstufungen des Terrains wurde an einer breiteren Stelle der direkte Kontakt mit dem Wasser hergestellt. Passanten sind zum Verweilen und Flanieren eingeladen.

Aufwertung des Rhone Ufers mit Plattformen. Foto: Carla da Silva.

Der neue Strand in Genf. Die ehemalige Uferlinie ist gut erkennbar (Atelier Descombes Rampini, 2020).

Das Genfer Beispiel mit der Aufwertung der Rhone und dem Seebecken zeigt auf, wie ein städtisches Ufergebiet Schritt für Schritt umgenutzt und neugestaltet werden kann, um dem Bedürfnis der Öffentlichkeit gerecht zu werden. Nun folgen das rechte Seeufer – bereits sind Provisorien ausgesteckt – und die Aufwertung des Flusses Arve zu einem Lebensraum für die wachsende Bevölkerung.

Lernen von Genf: Grosse Idee, kleine Schritte

Was lässt sich aus dem bereichernden Gespräch für Schaffhausen ableiten? Ariane Widmer hat sich die aktuelle Ufergestaltung vom Schaffhauser Kraftwerk bis zur Büsinger Grenze angeschaut und ist überzeugt: «Da lässt sich mit Mut und temporären Eingriffen mehr erreichen.» In Genf waren Schlüsselpersonen mit Macht und Wissen entscheidend: ein initiativer Politiker, ein zielorientierter Beamter und eine guter Planer und Landschaftsarchitekt – Marco Rampini vom Büro ADR – zusammen mit einer schlauen Strategie und einem überzeugenden Lobbying. Zentral war das Vereinen der unterschiedlichen Interessen von Archäologie, Naturschutz, Fischer, Böötler und der erholungssuchenden Menschen. Und es brauchte den Willen und den Mut, den Anspruch des Auto-Verkehrs in Frage zu stellen. Auch in Genf dominiert das Auto mit Strassen und Parkplätzen die Ufer. Für Ariane Widmer ist das Prinzip tragend, gewünschte Veränderungen mit Provisorien auszuprobieren und zu experimentieren: Den Menschen Möglichkeiten aufzeigen, Lösungen anbieten und schauen, wie die Menschen die Vorschläge im Alltag in Gebrauch nehmen. Planung braucht im Grundsatz Verlässlichkeit. Aber für die Aufwertung der städtischen Räume sind Zukunftsfähigkeit, Flexibilität und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, gefragt. «Vorab gilt es, mögliche Konflikte zu erkennen und zu lösen» sagt die Frau, die 2022 für ihr Engagement für eine Stadtplanung nach menschlichem Massstab mit dem renommierten Prix Brandenberger (www.stiftungbrandenberger.ch) ausgezeichnet worden ist. Ob Hitzewellen, Starkregen oder sinkende Aufenthaltsqualität – die Folgen des Klimawandels treffen Städte besonders stark. Das verlangt nach neuen, integrativen Lösungen in der Stadtplanung.

Zurück an den Rhein

Für die Planerin aus Genf sollte auch der Umgang mit den Bootsliegeplätzen neu gedacht werden – für die Schaffhauser Boots- und Weidlingsbesitzenden ein Tabu. Es geht dabei nicht ums Antasten von Privilegien, eher um einen neuen Umgang mit ausgewählten Plätzen und dem dortigen Zugang zum Wasser. Mobile Stege, Plattformen auf den Pfosten, rheinquerende Fähren? Erstaunt hat sie die Wahl des Planungs-Perimeters. Warum hat die Stadt nicht bis an die Landesgrenze oder gar darüber hinaus geplant? In Genf ist grenzüberschreitende Planung ein Gebot der Zeit und hilft bei der Lösungssuche bei Verkehrsfragen. Sie ist auch überzeugt, temporäre Sperrungen von Strassen und Parkplätzen an sonnigen Wochenenden gehören in den Werkzeugkasten der heutigen Stadt- und Raumplanung. Die Paarbeziehung Wasser und Stadt braucht keine ausschweifende Analyse, sondern pragmatische Handlungen. Nur wenige erinnern sich: Das Kraftwerk schaffte es, aus der kargen Uferlinie aus Stein und Eisenrohrgeländer von der Felsgasse bis zum Zoll mit dem Aufschütten des Aushub des Kraftwerkumbaus Erholungsflächen zu gestalten, die bestehende klassische Promenade ab der Einmündung der Felsgasse mit Grünflächen, Bäumen und Sträuchern zu ergänzen, mit einem Fussweg zu erschliessen und eine Doppelreihe Bootspfähle einzurammen: Aus einer schmalen, monotonen Linie wurde attraktiver Lebensraum mit Mehrfachnutzungen geschaffen. So geht Innenentwicklung.

Karge, monotone Uferlinie vor der Neugestaltung durch das Kraftwerk (Amateurfoto undatiert aus dem Buch Photographische Erzählung, Verlag Meier &  Cie. Schaffhausen).