Planungshintergründe im Pecha Kucha-Format

Text: Manuel Pestalozzi*
Bilder: Manuel Pestalozzi

Wie in den vergangenen Jahren veranstaltete das SCHARF Schaffhauser Architektur Forum auch in dieser Adventszeit einen Pecha Kucha-Event. Acht Vorträge mit streng getakteten Bildfolgen zu je 6 Minuten und 40 Sekunden setzten sich auseinander mit einer Lucius Burckhardt zugeschriebenen «Gretchenfrage»: Wer plant die Planung?

Im kleinen Saal der Tap Tab Bar in Schaffhausen wurde der Applaus für jeden Vortrag gemessen. Für den höchste Dezibel-Wert gab es eine grosse Flasche Wein und den SCHARF Pfefferschoten-Wanderpreis.

SCHARF-Präsident und Moderator Christian Wäckerlin gelang in dieser Pecha Kucha-Folge eine Steigerung: Im 20. Jubiläumsjahr des SCHARF bot er nicht wie bisher sechs, sondern gleich acht Vortragende auf. Das auf Kürze und Effizienz getrimmte Format verkraftete das problemlos. Motto der Präsentationen war die Frage, die dem berühmten Soziologen und «Promenadologen» Lucius Burckhardt (1925-2003) zugeschrieben wird: Wer plant die Planung? «Da hat alles Platz», sagte Christian Wäckerlin, gemünzt auf den Inhalt eines Pecha Kucha Vortrags. Hinterher musste man ihm recht geben: Jede der Präsentationen gab eine andere Antwort auf die Burckhardt-Frage. Die folgenden Kurzusammenfassungen sind mit der jeweiligen Kurzantwort, so wie sie dieses Publikumsmitglied verstanden hat, betitelt.

Katja Accossato stellte Pläne für öffentliche Räume am Wasser vor, erstellt von Studierenden und Wettbewerbsteams.

Studierende und Wettbewerbsteams in regionalen Grenzbereichen

Katja Accossato, Architektin und Architekturreiseführerin aus Chiasso, setzt sich auseinander mit dem «Bermudadreieck Chiasso-Varese-Como», wie es Christian Wäckerlin nannte. Die Gegend ist offiziell unter dem Namen Regio Insubrica bekannt, wobei die Insubrische Linie aus dem Geografieunterricht als Kontaktbereich der afrikanischen mit der europäischen Kontinentalplatte bekannt ist. Linien und Grenzen gilt denn auch das besondere Interesse von Katja Accossato. «Man muss nicht dort intervenieren, wo alles funktioniert», meinte sie, «sondern an den peripheren Grenzbereichen.» Zu ihnen gehören auch die Kontaktstellen des Wassers mit dem festen Land. Beispielsweise beim Zoll in Ponte Tresa. Bei diesem Unort untersucht die Architektin mit Studierenden Wege zur Verbesserung des öffentlichen Raums. Auch an den Ufern des Lago di Varese liegt vieles im Argen. Der Kontakt zum Wasser ging weitgehend verloren. Mit einem siegreichen Wettbewerbsprojekt schlägt Katja Accossato zwölf Stationen rund um den See vor, an denen einfache Interventionen eine anmutige Annäherung ans Wasser erlauben. «Ziel ist eine resiliente Gesellschaft», meinte die Architektin zu Sinn und Zweck dieser Interventionen.

Timo Bauer erzählte von seiner Auseinandersetzung mit historischen Industrielandschaften in Grossbritannien.

Das Wissen um historische Ereignisse

Architekt Timo Bauer aus Zürich durfte den SCHARF-Peche Kucha-Wanderpreis schon zwei Mal mit nach Hause nehmen. Er brachte ihn nach Schaffhausen zurück. Bei einem dritten Sieg würde er in seinen permanenten Besitz gelangen. Einmal mehr erzählte Timo Bauer von seinen Forschungsarbeiten rund um historische Industrieanlagen. Dieses Mal befasste er sich mit künstlichen Landschaften «zwischen schwarz, braun und grün». Er betrachtet die von ihm untersuchten Gebiete der Kohlegewinnung, der Stahlverarbeitung und Schiffswerften im heutigen Zustand, aber auch anhand historischer Fotos. Diese zeigen eine eigene Welt und eine eigene Ästhetik, welche das Verständnis und die Interpretation des vorgefundenen entscheidend mitprägen. Wenn man in diesen heute sozial oft stark

geschwächten Gebieten ans Planen denkt, sollte man berücksichtigen, dass man zwar vor einer Art Einwegarchitektur steht, wie sich Timo Bauer ausdrückte, dass diese aber für die Ansässigen einen hohen Erinnerungswert hat.

Berta Rahm und ihr SAFFA-Pavillon sind für Franziska Ramella eine verpasste Chance, Frauen und ihr Schaffen im öffentlichen Raum Schaffhausens zu würdigen.

Mehr Frauen

Eine feministische Perspektive brachte Franziska Ramella, Sozialarbeiterin in Ausbildung, in die Präsentationen ein. Die Würdigung der gesellschaftlichen Leistungen von Frauen sei in Schaffhausen überhaupt nicht präsent. Weder mit Denkmälern noch bei den Strassennamen. Dabei gäbe es zahlreiche Schaffhauserinnen, welche sich für die Allgemeinheit verdient gemacht haben. Franziska Ramella erwähnte die Schwestern Fanny und Mentona Moser, Wissenschaftlerin die eine, Schriftstellerin und Mäzenin die andere, Töchter des Schaffhauser Gründerzeit-Machers Heinrich Moser, die Psychoanalytikerin Emma Marie Jung-Rauschenbach oder die Ständerätin Esther Bührer. Und natürlich Berta Rahm. Die aus Schaffhausen stammende Architektin realisierte einen Pavillon für die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) von 1958 in Zürich. Er konnte gerettet werden, und manche hätten ihn gerne in Schaffhausen neu aufgebaut. Der Stadtrat spielte leider nicht mit. Die organisierten Feministinnen Schaffhausens plädieren für die Umtaufung des Herrenackers in Frauenacker. Und auf dem Gaswerkareal gäbe es auch Möglichkeiten, den berühmten Frauen der Stadt zu gedenken, Berta Rahm inklusive.

Roland Bernath ist Architekt und Fotograf. Anhand von drei Projekten erzählte er von «Konzeption und Konsequenz».

Das Nahe, Verfügbare

Fotograf und Architekt Roland Bernath aus Zürich stellte in rascher Folge jüngere Projekte vor, eines von ihnen vom Büro Bernath+Widmer, die anderen beiden Sujets für seine Kamera. Der Titel der Präsentation, «Konzeption und Konsequenz», wies auf klare, mit Entschlossenheit verfolgte Ideen hin. Und wer plant die Planung? Bei diesen Beispielen waren es die Umstände und vor allem der Standort und verfügbare, ortsgerechte Materialien. Für das Ferienheim Büttenhardt benutzte man Bäume aus der Umgebung; ihr Holz bestimmte, wie man baute. Beim «wohltemperierten Haus» des Büros EMI in Regensdorf ging es um einen sinnvollen Umgang mit dem Thema Reuse, also der Wiederverwendung alter Bauelemente. Und im Klanghaus wurde der Plan durch die Lage im Toggenburg und die Nutzung für Klangkultur und Musik ganz wesentlich geprägt. Fazit von Roland Bernath: «Ein starkes Konzept prägt Gebäude und die Atmosphäre. Wenn alle am gleichen Strick ziehen, kommt es meistens ziemlich gut.»

Kulturgut KVA. Architekt Elischa Bischof hat sich intensiv mit dem Bautyp und seinem baukünstlerischen Potenzial auseinandergesetzt.

Standards und Baukultur im Falle von KVA

Architekt Elischa Bischof aus Zürich hat sich mit dem Bautyp Kehrichtverbren-nungsanlage (KVA) auseinandergesetzt. Seiner Präsentation gab er den zweideutigen Titel «Baukultur zum Wegwerfen». Sie zeichnete die Entwicklung des noch nicht besonders alten Typs nach, der sich von einer Ingenieuraufgabe, einer oft im freien Gelände liegenden Fabrik, zu einer Architekturaufgabe weiterentwickelte. Architekten wie Pierre Zoelly planten für die notwendigen Prozesse Bausysteme, welche dem künstlerischen Ausdruck der Anlage Raum gewährten. Später entstanden auch markante Unikate, eigentliche Kathedralen der Wegwerfgesellschaft. Als Beispiel erwähnte Elischa Bischof die KVA Weinfelden des Architekturbüros Antoniol+Huber. Das 1996 fertiggestellte, qualitativ hochstehende Bauwerk genügt den aktuellen Anforderungen bereits nicht mehr. Es soll einem Ersatzneubau weichen. Elischa Bischof plädiert für einen Erhalt. «KVA sollten unseren Umgang mit Ressourcen reflektieren», meinte er.

Mit seinen Ideen für die Zwischennutzung der Kugel auf dem Gaswerkareal in Schaffhausen konnte Architekt Julian Wäckerlin die Verantwortlichen überzeugen.

Die bestehende Kugel

Mit der Präsentation von Julian Wäckerlin, Architekt in Zürich, kehrte der Anlass zurück aufs Gaswerkareal. Dieses ist geräumt und harrt seiner Zukunft. Zwischennutzungen sollen die Wartezeit versüssen und das urbane Gewebe des Quartiers am Rhein stärken. Julian Wäckerlins Bewerbung für die grosse Druckkugel mit 18 Meter Druchmesser konnte die Verantwortlichen überzeugen. Die Arbeiten befinden sich allerdings noch am Anfang. Auch die (Zwischen-) Nutzung ist noch nicht klar definiert. Eine Umfrage ergab, dass die meisten am liebsten mit Töffs den inneren Kugelwänden entlangrasen möchten. Julian Wäckerlin macht sich aktuell Gedanken über die Eingänge (von seitlich unten) und den Lichteinfall (ebenfalls von seitlich unten). Inspriation holt er sich in der Architekturgeschichte, etwa beim Pantheon in Rom oder beim phantastischen Kenotaph für Isaac Newton, einem Kugelentwurf von Étienne-Louis Boullée.

Von einem Neckarbädle träumt Architektin Marlène Witry – und nicht nur sie. Die Hürden zum Ziel sind allerdings zahlreich.

Die Sehnsucht nach der Badanstalt

Architektin Marlène Witry entführte das Publikum nach Stuttgart, an den Fluss Neckar, genauer gesagt. Dort besteht die Sehnsucht nach einer Badeanstalt, einem Neckarbädle, wie man es im Schwäbischen gerne nennt. Was Badefreuden anbetrifft, sei die Beziehung der Stadt zum Fluss weit weniger schön und harmonisch als in Schaffhausen, meinte die Architektin, die lange in der Schweiz tätig war, bevor sie mit dem Büro Schürmann + Witry Architekten nach Deutschland dislozierte. Das frisch zugezogene Planungsteam nahm den Wunsch nach einem Bad auf und ging als örtliche Newcomer eine Allianz mit der Agency Apéro ein, um ein Badprojekt zu entwickeln. Der Neckar ist verschmutzt, deshalb wollte man das Quellwasser des Mombach bei Bad Cannstatt bei seiner Mündung nutzen, wurde aber von höherer Stelle auf die andere Flussseite dirigiert. Für jenen Standort wurde ein Badefloss entworfen, welches man nun der Bevölkerung schmackhaft machen will. Zu diesem Zweck wurde im vergangenen Sommer am Ufer ein Pop up-Bädle vertäut, ein Frachtkahn mit Miniaturpool und Erfrischungsstätte. «Das löste grosse Begeisterung aus», berichtete Marlène Witry, «wir berechnen jetzt nur noch die Kosten, um die Stadt zu überzeugen.» Das Publikum im Tap Tab wünschte ihr mit starkem Applaus viel Glück mit dieser Eigeninitiative.

Architekt Martin Roesch befasste sich mit der Gefahr des Tunnelblicks von Fachkräften. Pläne und Darstellungsweisen können seine gefährliche Grundlage sein.

Leute, die Pläne hinterfragen, hoffentlich!

Architekt Martin Roesch aus Schaffhausen hinterfragte in seiner Schlusspräsentation die Natur des Planens und des Plans ganz grundsätzlich. Ausgangslage seiner Betrachtungen war der Wunsch des Menschen, die Welt zu verstehen. Viele bildliche Darstellungen eines Territoriums reflektieren diesen Wunsch. Sie sind in den Worten des französischen Philosophen Paul Virilio anthropovisuelle Prothesen. Abstrahierte Darstellungen, nun vermehrt in digitaler Version, verleiten zu mehr Tempo und weniger Nachdenken. Architektinnen und Architekten geraten in Gefahr, nur noch Organisatorinnen und Organisatoren zu sein. Seine Pecha Kucha-Präsentation sah Martin Roesch als ein Plädoyer für die Zurückgewinnung des Raums. Man dürfe sich diesen nicht durch Expertinnen und Spezialisten verbiegen lassen.

Eine abschliessende Applaus-Messung entschied über das weitere Schicksal des Pecha Kucha-Wanderpreises. Am meisten messbaren Lärm erzeugte der feministische Beitrag von Franziska Ramella. Die SCHARF-Schote geht für ein Jahr zu ihr. Die Rangierung war aber keineswegs das Wesentliche des Abends; alle acht Präsentationen vermittelten gemeinsam einen guten Eindruck zur aktuellen Gemütslage im Architekturbereich. Das Durchschnittsalter der Vortragenden war erfreulich niedrig, Pecha Kucha hat sich als Vortragsformat sehr gut bewährt. Das Publikum erhielt konzentrierte Dosen an diversem Input, der aus unterschiedlichen Blickpunkten Antworten auf Lucius Burckhardts Frage gab. Alle verliessen die Tap Tab Bar mit reichlich Anregungen zum erweiterten Nachdenken.

* Manuel Pestalozzi, dipl. Arch. ETHZ und Journalist BR SFJ, betreibt die Einzelfirma Bau-Auslese Manuel Pestalozzi