Stadtentwicklung – quo vadis: Zürich setzt Massstäbe

bi1_2006_stadtmodell_zhStadtmodell Zürich 2006
Stadtentwicklung – quo vadis: Zürich setzt Massstäbe.
Referat und Diskurs mit Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung Zürich über die Qualitäten und Potentiale einer zeitgemässen Stadtentwicklung
Aktuell beschäftigen sich die verantwortlichen Kompetenzen der Stadt aber auch des Kantons um die seit Jahren dringlichen Themen von Neunutzungen, Umlagerungen und damit auch um die eigentlichen Entwicklungschancen der Stadt Schaffhausen. Dabei ist der Stadtkörper unserer – mittelalterlich begründeten und bis heute in grossen Teilen vorgegebenen – Altstadtstruktur schweizweit einzigartig anerkannt. Diese Tatsache kann einerseits als Schicksal aber andererseits auch als Chance verstanden werden und erschwert dadurch den politischen Diskurs über die Stadtentwicklung oft.
SCHARF thematisierte vor einigen Jahren aktiv die Entwicklungsgebiete Fulachtal, Rheinufer aber auch das Altstadterweiterungsgebiet Bleiche und pflegt regelmässig den öffentlichen Diskurs zur Stadtentwicklung.
Nebst unserer Eigenständigkeit ist die Stadt Schaffhausen gleichzeitig auch Bestand innerhalb des Metropolitanraum Zürich. Es ist deshalb naheliegend, zwischendurch den oft etwas engen Fokus auch aufs Zentrum die Stadt Zürich zu richten.
Deshalb haben wir die Initiative der SP Stadt Schaffhausen sehr begrüsst, innerhalb einer öffentlichen Veranstaltung „Stadtentwicklung – Impulse aus Zürich“, Anna Schindler, Direktorin Stadtentwicklung Zürich für ein Referat nach Schaffhausen einzuladen.
SCHARF
Schaffhauser Architektur Forum
 
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Bericht Caspar Heer: Vortrag Anna Schindler, 21.11.2018
Stadtentwicklung – Impulse aus Zürich
Rasantes Bevölkerungswachstum, Smart City und die Generation 3039: Das waren drei Themen, auf die Anna Schindler fokussierte. Die Zürcher Direktorin für Stadtentwicklung referierte am 21. November auf Einladung der SP in Schaffhausen.
Stadtentwicklung hat im stürmisch wachsenden Zürich einen hohen Stellenwert. Und sie beschränkt sich nicht auf die Perspektive der Raumentwicklung, sondern verfolgt eher einen soziologischen Ansatz: «Unser Fokus sind die Menschen, die in der Stadt wohnen», betont Anna Schindler. Ihr Amt ist denn auch beim Stadtpräsidium und nicht etwa bei einem der Bauämter angesiedelt.
«Unsere grösste Herausforderung ist das Bevölkerungswachstum», betont Schindler. Legt man das erwartete Wachstum auf Schaffhauser Verhältnisse um, so wird einem tatsächlich schwindlig: Zürich dürfte nämlich laut den städtischen Prognosen bis 2030 um bis zu 80’000 Personen wachsen. Das entspricht zweimal der Munotstadt!
Smarter Stadtumbau
Wie soll das gehen in einer Metropole, von der (wie Moderator Andres Bächtold einleitend bemerkte) schon die frühere Stadtpräsidentin Ursula Koch bei ihrem Amtsantritt 1986 sagte: «Die Stadt ist gebaut».
Koch gab damals die bis heute gültige Antwort gleich selbst: «Indem man sie umbaut». Und dafür liefert das Amt für Stadtentwicklung Visionen und Entscheidungsgrundlagen: «Wir stellen in erster Linie Fragen und benennen Zielkonflikte», sagt Schindler.
Eine solche Vision für das Zürich der Zukunft wird derzeit mit der Strategie zur Smart City entwickelt. Unter diesem Label findet sich ein ganzer Strauss von Ideen von der Innovationsförderung über neue digitale Dienstleistungen bis zum selbstfahrenden Bus. Doch dahinter steht laut Schindler als Kernanliegen die nachhaltige Entwicklung der Stadt: «Smart bedeutet, Menschen, Organisationen oder Infrastrukturen so zu vernetzen, dass sozialer, ökologischer oder ökonomischer Mehrwert geschaffen wird.»
Raum für Wandel der Stadtökonomie
Ein zentrales Anliegen ist dabei, den urbanen Werkplatz, der buchstäblich an den Rand gedrängt wurde, zu fördern. «Zürich soll nicht zur reinen Dienstleistungsstadt werden. Die Stadtökonomie muss sich auch im Bereich Produktion wandeln können: Wir wollen mehr Industrie 4.0», betont Schindler. Doch für deren Entfaltung ist der Raum knapp: Nur noch 4.5% des Bodens stehen für den Werkplatz zur Verfügung. Diese Industrieflächen, die es laut Schindler unbedingt zu erhalten gilt, wurden denn auch im kürzlich beschlossenen Zonenplan festgeschrieben.
Ein Smart-City-Phänomen ist auch der Wandel des Handels. Die Stadtplanung arbeitete 2016 eine Studie über die Versorgung der Stadt von morgen aus. Schindler dazu: «Wir wollen wissen, wie sich der zunehmende Online-Handel auf den städtischen Raum auswirkt.» In der grössten Schweizer Stadt mit ihrem notorisch verstopften Verkehrsnetz ist nur schon die Verteilung der explosionsartig anwachsenden Paketflut eine Herausforderung.
3039 – aus Schaffhauser Sicht ein Luxusproblem
Ein Zukunftsthema anderer Art, um das Schaffhausen die Zürcher nur beneiden kann, ist die Altersstruktur. «In keiner anderen Stadt Europas ist die Bevölkerungsgruppe der 30 – 39jährigen so stark vertreten wie in Zürich», sagt Schindler. So befasst sich ihr Amt speziell mit dieser Altersgruppe. Denn die 3039, wie sie im Amtsjargon heissen, sind gut ausgebildet und gutverdienend. Damit sind sie quasi der demographische Motor der dynamischen Stadtwirtschaft. Doch sie voll einzubinden ist laut Schindler herausfordernd: Nur etwa die Hälfte der 3039 besitzt einen Schweizer Pass, zudem sind sie generell sehr mobil, und gleichzeitig sind viele mit der Wohnungssituation sehr unzufrieden, wie die letzten Bevölkerungsumfragen zeigten.
Eigene Flächen nicht aus der Hand geben
Insgesamt geht es darum, «den Weiterbau Zürichs für die Leute erträglich zu gestalten», sagt Schindler. Dabei fokussiert sich ihr Amt zwar nicht auf Architektur und Bau, doch kommt der Raumentwicklung doch eine wichtige Rolle zu. So dürfe die Stadt weder den hohen Bestand an finanziell tragbarem Wohnraum aufs Spiel setzen, noch ihre bebaubaren Flächen aus der Hand geben, sagt Schindler. Schliesslich erhöhe das Wachstum den Bedarf an öffentlichen Einrichtungen. Denn eine dichter bebaute Stadt braucht mehr Schulhäuser, Tramdepots, Sportanlagen, Altersheime oder Grünzonen.
Zürichs rasante Bevölkerungszunahme lässt es nicht zu, lange bei Grundlagestudien und Visionen zu verweilen. Sie müssen in gemeinsamer Arbeit mit den übrigen Ämtern und der Politik in konkrete Pläne und Projekte umgesetzt werden. Dabei hat das Stadtentwicklungsamt laut Schindler eine anspruchsvolle Querschnittfunktion.

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Die Diskussion drehte sich um mögliche Parallelen zu Schaffhausen. Eine ist die Dominanz der Kantone in den jeweiligen Stadtgebieten. Anna Schindler betonte zwar die gute Zusammenarbeit mit dem Kanton, gab aber zu: Beim Kasernenareal scheiterte die Stadt mit ihren Vorstellungen. Nicht zur Sprache kam die aktuelle Kontroverse um das (nach Meinung der Kritiker überrissene) 6-Milliarden-Projekt im Hochschulquartier, das der Kanton bisher weitgehend im Alleingang plante.
Die Schaffhauser Stadträtin Katrin Bernath wies darauf hin, dass man bereits vergleichbare Planungsinstrumente wie die Limmatstadt einsetze. Von derart fundierten Datengrundlagen wie Zürich könne sie aber nur träumen. Dafür falle in der überschaubaren Munotstadt eine ämterübergreifende Zusammenarbeit leichter. Das Grössenverhältnis der beiden Städte liegt bei 1 zu 12, meinte der Schaffhauser Stadtplaner Marcel Angele. Einfach Rezepte aus der Limmatstadt zu kopieren, sei da kaum zielführend – was nicht dagegen spricht, Impulse aufzunehmen.
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2 Artikel der NZZ, 6.12.2018 von André Müller:
«Zürich soll nun zeigen, wie klug es ist»
«Zürich soll zur Smart City werden»
1 Artikel der NZZ, 14.12.2018 von Andrea Tedeschi:
«Die Stadt im Kopf»
 
Nach dem Referat von Anna Schindler hat SCHARF den Schaffhauser Stadtpräsident Peter Neukomm um ein kurzes Statement gebeten, wie sich seiner Meinung nach Schaffhausen in Zukunft verändern wird.
«Für mich als Stadtpräsident ist die Richtung klar, in die wir uns in den nächsten Jahren bewegen müssen: Die Stadt muss sich zu einer Smart City wandeln, indem sie die Chancen, welche die Digitalisierung bietet, zugunsten einer hohen Lebensqualität bei minimalem Ressourcenverbrauch, nutzt. Natürlich haben wir als mittelgrosse Stadt nicht die gleichen Möglichkeiten wie Zürich oder Wien. Trotzdem muss es möglich sein, in wichtigen Bereichen wie smart government, smart economy, smart environment, smart living, smart mobility Fortschritte zu erzielen, um im Wettbewerb der Standorte den Anschluss zu wahren. Weil konkrete Anwendungen nötig sind, um alle steakholder auf dem Weg mitzunehmen, können mittelgrosse Städte nicht alles auf einmal bewältigen, sondern müssen schrittweise, in einzelnen Bereichen Schwerpunkte setzen. Die Stadt Schaffhausen muss einerseits zuerst gewisse konzeptionelle und infrastrukturelle Hausaufgaben erledigen. SH POWER als vorbildliches, städtisches Energieversorgungsunternehmen soll intelligente Netze aufbauen, um smarte Anwendungen möglich zu machen. Dazu gehört auch die Elektromobilität. In diesem Bereich spielt die Stadt mit der geplanten Elektrifizierung des öffentlichen Verkehrs mit in der ersten Liga. Auch bei Anwendungen selbstfahrender Fahrzeuge gilt Schaffhausen als führend. In anderen Bereichen werden zusätzliche Anstrengungen nötig sein. Die Stadtplanung muss all diese Entwicklungen antizipieren und zu den Treibern einer Smart City gehören. Denn bis in zehn Jahren wird sich das Leben und die Gewohnheiten der Menschen in unserer Stadt stark wandeln. Wer diese Entwicklung nicht antizipieren kann, wird abgehängt und kann nur noch reagieren. Schaffhausen will aber mitgestalten für die Menschen in unserer Stadt, um ihre Lebensqualität auf innovative Weise zu erhöhen und gleichzeitig den Ressourcenverbrauch zu minimieren
Peter Neukomm, Stadtpräsident
6. Dez. 2018