Ein 400 Meter langer Supermarkt in Schaffhausen

Anfang September fand im Güterbahnhof Schaffhausen eine Ausstellung mit möglichen Zukunftsperspektiven der Güterhalle anhand von Studentenarbeiten statt. Die Studierenden des Masterstudios an der ZHAW befassten sich mit einem Bauteillager als «Re-Use-Hub» und inwiefern sich das Areal des heutigen Güterbahnhofes einst entwickeln könnte.

Text: Alex Zahler
Bilder Ausstellung: Pierre Néma
Fotos und Pläne: Giulio Bettini (Doz. ZHAW) und Studierende
Diskussionsgäste: Anja Krasselt (SBB Immobilien), Ekaterina Nozhova (SBB Denkmalpflege), Marcel Angele (Leiter Stadtplanung Stadt Schaffhausen), Marc Loeliger (Architekt und Doz. ZHAW), Giulio Bettini (Architekt und Doz. ZHAW), Marc Angst (Architekt, Baubüro in situ)
Moderation: Andreas Sonderegger (Architekt und Co-Leitung Institut Konstruktives Entwerfen ZHAW), Christian Wäckerlin (Präsident SCHARF)

Schaffhausen als Umschlagplatz
Schaffhausen im 11. Jahrhundert. Einige Häuser und eine Stadtkirche lassen eine Siedlung erkennen. Der Graf von Nellenburg sieht in dieser unscheinbaren Ansammlung am Rhein ein Potenzial. Denn einige hundert Meter rheinabwärts stürzt sich dieser anmutig eine Felsformation hinunter. Die auf dem Rhein transportierten Güter mussten gezwungenermassen vom Schiff auf Karren verladen werden, um unterhalb des Rheinfalls wieder verschifft werden zu können. So entstand aus «Villa Scâhusun» ein wichtiger Umschlagsplatz, wo Abgaben und Zölle erhoben werden konnten.
Wir springen gut 1000 Jahre vorwärts. Die Industrialisierung geht auch an Schaffhausen nicht vorbei und die Kraft des Wassers wird neu zur Stromproduktion verwendet. Es entsteht ein Güterbahnhof mit direktem Anschluss des Mühlentals und den Stahlwerken von Georg Fischer. Unter der Leitung von Architekt Max Vogt erstellen die SBB 1972 eine neue Güterhallenanlage. Die 420 Meter lange und 20 Meter breite Anlage vereinte Güterbereiche der SBB und der grenznahen Deutschen Bahn DB. Längere Hallen wird man in der Schweiz nur schwer finden. Schaut man sich die Situation auf einer Karte an, befindet sich die Halle heute am städtischen Kopf einer langen Schneise von Schaffhausen nach Herblingen. Einem Tal aus Schotter, Gleisen und Stahlmasten. Die Hallen haben heuten ihren ursprünglichen Nutzen verloren und sind extern als Lager oder Brocki vermietet. Eigentümerin des gesamten Areals ist die SBB-Immobilien.

Ein unterschätztes Kulturdenkmal
Die SBB ist nach dem Natur- und Heimatschutzgesetz dazu verpflichtet, ihre historischen Denkmäler zu pflegen. Ekaterina Nozhova von der SBB Denkmalpflege nannte einige Gründe, welche diese Halle auszeichnet: Neben Buchs, Chiasso, Genf und Muttenz ist Schaffhausen einer von fünf Grenzbahnhöfen, was dessen Entwicklung hinsichtlich grösse und Bauten erklärt. Weiter entspricht die Typologie der Halle derjenigen eines Güterschuppen. Ein Skelettbau mit tragenden Stützen in der Fassade und damit einem 420 Meter langen und frei bespielbarem Korridor. Mit Max Vogt als Architekt reiht sich die Halle in einen Pool von Bauten ein, welche bis heute Ausdruck der Nachkriegsmoderne sind und viele Ortsbilder prägen. Er verstand es, die Anlagen der SBB als Ensemble zu betrachten und diesen eine gestalterische Einheit zu geben. Konstruktiv wird die 20 Meter breite Halle mit hyperbolischen Betonschalen überspannt. Die filigrane Ausführung dieser Konstruktion erzeugt eine Wertigkeit und verleiht dem Gebäude einen Charakter, welchen man bei heutigen Sandwichpaneel-Lagerhallen vergebens sucht.

Reality-Check für ein Bauteil-Hub
Was also soll mit dem modernen und geschützten Kulturdenkmal passieren? Mit dieser Frage gelang die SBB an die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW. Diese nutzte die Anfrage und verknüpfte sie mit den in der Architektur heiss diskutierten Themen der Nachhaltigkeit und der Kreislaufwirtschaft von Bauteilen und Materialien. Die Studierenden im Masterstudiengang beschäftigten sich mit dem Thema des Bauteil-Recyclings auf mehreren Ebenen. Dabei anerbot sich die ehemalige Güterhalle aufgrund der attraktiven Lage zwischen Bahn und Strasse. Ein Reality-Check für ein Bauteil-Hub, eine Lagerstätte für gebrauchte Bauteile, die auf eine Wiederverwendung warten. Die Fragestellung inkludiert nicht nur das Lagern, sondern auch die mit der Bauteilwiederverwertung verbundenen Prozesse wie Demontage, Anlieferung, Aufbereitung und Dokumentation sowie Wiederverkauf. Im Kontext des Güterbahnhofes war auch zwingend die unmittelbare Umgebung der Halle in den Transformationsprozess mit einfliessen zu lassen. So bildet der Raum zwischen der Halle und der Fulachstrasse sowohl eine funktionale wie auch topografische Zäsur in der Stadtebene.

Vier Projektarbeiten mit unterschiedlichen Ansätzen.
Auf der Rampe vor der Güterhalle wurde eine diverse Auswahl von vier Projektarbeiten präsentiert. Folgend kann die ganze Ausstellung als PDF-Datei heruntergeladen werden: PDF Ausstellung Re-Use-Hub der ZHAW am Güterbahnhof Schaffhausen (100B)

Die vier Projekte in der Kurzübersicht:

Das Projekt Quintette – Hybride Strukturen für das zirkuläre Bauen setzt fünf neue 3-geschossige Gewerbehäuser unterschiedlicher Strukturen zwischen bestehende Halle und Fulachstrasse. Das Areal wird mit neuen gewerblichen und industriellen Nutzungen ergänzt. (Stud. Adrian Kiesel)


Ein Dach als Hub belässt die bestehende Halle als reines Bauteillager. Die neuen Nutzungen werden der Lagerhalle seitlich angegliedert und der Zwischenraum zur Fulachstrasse wird überdacht. Eine Interaktion mit der oberen Stadtebene scheint durch die überdachte Fahrbahn leider unterbunden. (Std. Sandro Hauser)


Die Visualisierung des Projekts Reephaus vermittelt eine frühe Morgenstimmung mit verhangenem Nebel, als befänden wir uns an einem Hafen. Die Bauteile werden einem Dock aus Stahl und Holz in Erscheinung einem riesigen, ausgreifenden Kraken ähnelnd (durchwegs positiv gemeint) zugeliefert und abgefertigt. Es wird ein starkes Bild einer Abfertigungsmaschine vermittelt, was dem Areal einen identitätsstiftenden Charakter verleiht. (Std. Marc Gfeller)


Wohnen und Arbeiten im Güterbahnhof verknüpft den Bestand mit vier neuen Hochbauten. Nach Nutzungsart vertikal gegliedert, befinden sich in den oberen Geschossen die Wohnungen mit Blick über das Gleisfeld. Ein Projekt, dass die Nutzungsfrage des Areals öffnet, aber auch auf noch ungelöste Probleme wie Lärm und Durchwegung hinweist. (Std. Aleksandra Rachwal)


Ein Hub als Bindeglied zwischen Angebot und Nachfrage
Ob Schaffhausen nun der geeignete Standort für einen solchen Bauteil-Hub ist, konnte von den anwesenden Diskussionsgästen niemand abschliessend beantworten. Für Marc Angst vom „baubüro in situ ag“ ist das Thema des Lagerns keine Wissenschaft, schliesslich gibt es in der ganzen Schweiz Lagerhallen. Entscheidend sei der Standort und dessen Lage. In den letzten Jahren nehme der Trend zu, dass Lagerstätten in urbanen Zentren immer weiter an den Rand dieser gedrängt werden. So fährt dann doch noch jeder Unternehmer mit seinem Lieferwagen in die Agglomerationen um die Waren ins Zentrum an den Mann und die Frau zu bringen. Es sei also auch durchaus berechtigt, ein Lager noch in einem Stadtzentrum zu betreiben. Für Marc Angst gilt es in der aktuellen Diskussion um Bauteilwiederverwertung nun zu beweisen, dass das ganze eben nicht nur ein Hype ist, sondern eine Notwendigkeit. Es sei wichtig, dass der Kampf gegen die Wertvernichtung etablierte Abläufe und Gesetze erhält. Es darf nicht sein, dass auf Abbruch-Baustellen grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass alles, was abgebrochen wird, wertlos sei und in die Mulde geschmissen wird. Ein Haus soll am Ende seiner Lebenszeit als „Spender“ oder als „Mine“ betrachtet werden. Sein Wunsch wäre denn auch, dass nur eine Abbruch-Bewilligung erteilt wird, wenn ein Nachweis über die Wiederverwendung des Abbruchmaterials vorliegt. Ein Bauteil-Hub wäre für ihn ein Bindeglied zwischen Angebot und Nachfrage.

Alle reden davon, aber nur wenige handeln auch so.
Für Giulio Bettini als begleitender Dozent der Studierenden war während des Entwurfsprozesses auch immer wieder ein Blick in die Zukunft notwendig. Ein solcher Bauteil-Hub existiert noch nirgends, weshalb die Abläufe von der Anlieferung bis zur Präsentation der Bauteile durchgespielt werden mussten. Für Ekaterina Nozhova von der SBB Denkmalpflege ist klar, dass der Denkmal-Stempel für die Halle keineswegs ein Hindernis für eine Transformation sein soll. Im Gegenteil. Der Bestand wird in Zukunft einen neuen Stellenwert erhalten und damit müssen Architekten in Zukunft umgehen können. Andreas Sonderegger wirft ein, dass manche Kreise, beispielsweise der Baumeisterverband, eine Subventionierung von Ersatzneubauten verlangt. Der Verband begründet dies mit der schlechten Bausubstanz, wodurch schliesslich auch viel Energie verloren gehe. Marc Loelinger, Dozent im Masterstudio an der ZHAW hält fest, dass in den Köpfen der Paradigmenwechsel hin zu Re-Use grösser sei als in der Praxis. Marc Angst plädiert weiter dafür, dass man beim Bauen im Bestand auch von Normen und Standards abweichen können muss. Sowieso sei die Nutzung dem Gebäude anzupassen und nicht etwa umgekehrt.

Stadt gegenüber einem Hub eher skeptisch.
Zurück zum Güterareal in Schaffhausen. Könnte sich die Stadt einen Bauteil-Hub in der SBB-Halle vorstellen? Marcel Angele, Leiter Stadtplanung Stadt Schaffhausen, ist skeptisch. Ein reiner Bauteil-Hub ohne zusätzliche Nebennutzung sei schwierig. Zumal bei grösseren logistischen Bewegungen meist auch die Bevölkerung bald ein Veto einlegt aus Angst vor mehr Verkehr. Marc Loeliger vertritt die Meinung, dass bei schweizweit mehreren regionalen Bauteil-Hub-Standorten Schaffhausen durchaus Potenzial haben würde. Weiter führt Marcel Angele aus, dass auf die städtischen Flächen noch kein so grosser Nutzungsdruck besteht, wie dies beispielsweise in Zürich der Fall sei. In der Stadtplanung sei das Güterareal tatsächlich noch ein weisser Fleck, wobei der Ball hier der SBB-Immobilie zugespielt wird, welche als Eigentümerin die Zügel in den Händen hält. Anja Krasselt von den SBB-Immobilien nimmt den Ball denn auch auf und betont, dass bei einer Transformation über einen längeren Zeitraum gedacht werden muss. Sie seien mit den heute vermieteten Nutzungen vorerst noch zufrieden und sehen aktuell keinen dringenden Handlungsdruck zu einer in der Zukunft sicher möglichen Transformation. Stadträumlich betrachtet ist das Areal für den Stadtplaner ein Bindeglied zwischen Stadt und Ebnat West. Es befände sich momentan in der Überführung vom Transformationsgebiet in die Nutzungsplanung. Inwiefern sich das Gebiet zum Wohnen eignet, hängt von diversen Strassenprojekten, welche das Verkehrsaufkommen auf der heutigen Fulachstrasse tangieren, ab. Das logistisch gut erschlossene Areal in seinem Industriecharakter zu stärken und sogar noch mit Neubauten weiter zu entwickeln, ist eine ebenso vertretbare Haltung an diesem Abend.

Mit dem Areal steht der Stadt und den SBB ein wertvolles, zentrumnahes und urbanes Entwicklungsgebiet zur Verfügung. Wie einst der Graf von Nellenburg ein Potenzial erkannte, gilt es nun zu hoffen, dass die Möglichkeiten des Bestandes rechtzeitig erkannt und mit Bedacht in die Zukunft überführt werden.

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Artikel «Abenteuer der Kreislaufwirtschaft»